Veröffentlicht: 16.12.08
Dossier Citius

Der Hammerhai auf dem Prüfstand

Nach knapp zwei Jahren Entwicklungs- und Produktionszeit war es so weit: Der Bob „Citius“ ging beim Autohersteller AUDI in den Windkanal. Die Tests übertrafen die Erwartungen. Jetzt gilt es die nächste Hürde zu nehmen: den Eiskanal.

Simone Ulmer
ETH-Wissenschafter und AUDI-Mitarbeiter verankern den Citius 2er-Bob im Windkanal.
ETH-Wissenschafter und AUDI-Mitarbeiter verankern den Citius 2er-Bob im Windkanal. (Grossbild)

Der Windkanal bei AUDI in Ingolstadt gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Dort werden die neuesten Modelle unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und Geheimhaltung getestet. Erst nach einigen Formalitäten, Sicherheitstoren und Abgabe der Fotohandys öffnen sich die Türen zu einem der modernsten Windkanäle Europas. Dort werden normalerweise Autos bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 Kilometer pro Stunde getestet.Deshalb ist es um so aufregender, dass einige auserwählte Bobfahrer des Schweizer Bobverbands, die Prototypen des 4er- und 2er-Bobs für die Wintersaison 2009/2010 dort testen dürfen. AUDI stellt als Sponsor des Bobbau-Projekts „CITIUS“ (siehe Kasten) den Entwicklern und Bauern des Bobs sowie den Athleten, die den Bob 2009/2010 fahren sollen, acht Stunden Messzeit im Windkanal zur Verfügung.

„Zugig ist‘s da drin“

Früh am Morgen wurden zuerst der 4er-Bob vom Vorjahr und anschliessend der Citius-4er-Bob getestet. Die Vergleichswerte sollen zeigen, ob der neue Bob einen geringeren Luftwiderstand aufweist als der vom Vorjahr und somit schneller sein könnte. Nun wird von den Athleten gerade der 2er vom Vorjahr getestet. Die Grösse und Atmosphäre des Windkanals erinnert an eine Turnhalle. Wären da nicht die grossen schwarzen trichterförmigen Schlunde an den beiden Längsenden, durch die ein Luftstrahl mit einem Querschnitt von etwa 12 Quadratmetern strömt und die digitalen Anzeigetafeln, auf denen die Windgeschwindigkeit und andere gemessene Parameter aufleuchten, würde man sich eher in einer Sporthalle wähnen.

Die Athletinnen des Schweizer Bobverbands, die Pilotin Maya Bamert und ihre Anschieberin Anne Dietrich, die seit 2006 ein Team sind und an den Europameisterschaften 2008 in Cesana, Italien, Bronze holten, haben die Tests mit dem 2er-Bob vom Vorjahr bereits hinter sich. Gutgelaunt wärmen sie sich im Kontrollraum des Windkanals – zwischen Computern, Monitoren und einen Snack-Buffet – auf. Der Raum ist durch eine grosse Glasscheibe vom Windkanal abgetrennt. „Zugig ist‘s da drin“, bemerkt Maya Bamert, mit Blick auf die Windkanal-Halle.

Citius 4er übertrifft Erwartungen

Bisher hat das gesamte Projektteam allen Grund für gute Laune: Die Vergleichswerte vom 4er zeigten, dass der neue Bob einen geringeren Luftwiderstand aufweist als der Bob vom Vorjahr und die Erwartungen gar übertroffen wurden. Um wie viel geringer, bleibt vorerst ein Geheimnis, um die Konkurrenz nicht neugierig zu machen.

Die Spannung steigt, als der 2er-Prototyp Citius im Windkanal montiert wird. Seine Form erinnert an einen Hammerhai und seine knallgelbe Signalfarbe unterstreicht den Eindruck eines gefährlichen Objekts. Biss sollte der Olympia-Bob für 2010 auch haben, um der Schweizer Mannschaft zum Erfolg zu verhelfen. Der Name des Bobs soll Programm sein: Citius, lateinisch für schneller.

Die für die Versuche im Windkanal zuständigen Mitarbeiter von AUDI - für die der Test eines Bobs auch nicht alltäglich ist - und die Wissenschaftler der ETH schrauben und montieren am Bob, bis er richtig positioniert und fest auf der Messeinrichtung verankert ist. „Heute morgen, als wir die Bobs vorbereiteten waren wir alle ziemlich nervös“, erklärt Thomas Kern vom Team Kinematik der ETH Zürich, „und es galt an manchen Stellen zu improvisieren. Aber bisher lief alles bestens.“

Ab 100 Kilometer pro Stunde wird’s ungemütlich

In der Zwischenzeit sind Maya Bamert und Anne Dietrich wieder in ihre Hightech-Rennanzüge gestiegen und haben ihre Helme angezogen. Im Bob sitzend erhalten sie über Funkkopfhörer von Christian Reich, der selbst erfolgreicher Bobfahrer des Schweizerischen Bobverbands war und heute Bobbauer ist, aus dem Kontrollraum Anweisungen. Allmählich wird das Gebläse des Windkanals hochgefahren. Als die damit erzeugte Luftströmung eine Windgeschwindigkeit von sechzig Kilometern pro Stunde erreicht und der Aufenthalt im Windkanal noch erträglich ist, werden die ersten Messungen gemacht. Erst bei einer initiierten Windgeschwindigkeit von hundertfünfzig Kilometer pro Stunde – was etwa der Geschwindigkeit entspricht, die auf der Olympia Bobbahn Whistler in Vancouver erreicht werden kann – wird das Gebläse wieder heruntergefahren. Ab 100 Stundenkilometern wurde es im Windkanal jedoch für die Umstehenden allmählich ungemütlich und bei 150 Stundekilometern befanden sich ausser den Fahrerinnen alle abseits, im windgeschützten Bereich oder im Kontrollraum.

Als wäre es ein echtes Rennen

Während den Tests wurden die Athletinnen angewiesen, die korrekte und optimale Sitzposition, die den kleinstmöglichen Luftwiderstand bietet, einzunehmen – so, als würde es um ein echtes Rennen gehen. Nur die Lenkerin darf den Kopf so weit heben, dass sie gerade noch etwas sieht. Dietrich hat sich hinter Bamert komplett zusammengekauert und hält den Kopf geduckt. Würde sie ihn heben, könnte das im echten Rennen wichtige Sekunden kosten und im Bobsport entscheiden schon hundertstel Sekunden über Sieg und Niederlage. Anschliessend wird von den Athletinnen dann genau so eine Situation simuliert, um zu sehen, wie stark eine falsche Bewegung oder Körperhaltung den Luftwiderstand erhöht und den Bob verlangsamt. Während diesen Tests werden die auf den Bob wirkenden Kräfte entlang der X-, Y- und Z-Achse gemessen, sowie beispielsweise der Luftwiderstand und der Auftrieb des Bobs mit seiner Besatzung.

Nach dem Frauenteam erfolgt das gleiche Prozedere mit den seit mehreren Jahren erfolgreichen männlichen Bobfahrern, dem Piloten und Weltmeister von 2007, Ivo Rüegg und seinem Anschieber Cedric Grand, die bei der letzten Olympiade den vierten Rang belegten. Sie geniessen sichtlich den Teil, in dem die Auswirkungen von Fehlverhalten gemessen werden und so auch mal Unfug gemacht werden darf: Das „Muskelpaket“ Grand streckt bei 150 Stundenkilometer Gegenwind seinen Arm dem Wind entgegen, als wäre das alles nichts. Rüegg begnügt sich damit, seine Finger durch einen Spalt in der Hülle zu strecken.

Nach den Test ist klar: Was die Aerodynamik betrifft ist man auf einem guten Weg. Die Vergleiche der Bobs der Vorsaison mit den Citius-Prototypen zeigten, dass die Citius-Bobs einen geringeren Luftwiderstand aufweisen als ihre Vorgänger. Im 2er-Bob erzielten die Frauen bessere Ergebnisse als die Männer, aber grundsätzlich schloss der 4er in den Tests besser ab, erklärt Christian Reich. Die genauen Vergleichswerte würden aber bis auf weiteres noch unter Verschluss bleiben.

Für Reich ist dieses Bobbau-Projekt eine komplett neue Erfahrung. „Arbeitsgänge und Entwicklungen die wir bisher eher nach Gefühl und Erfahrung gemacht haben, wurden nun auf dem Computer simuliert oder in Labors entwickelt und getestet.“

Test auf der Bobbahn als nächste Hürde

Das aerodynamische Verhalten des neuen Citius-Chassis ist zwar besser als das der Bobs der vergangenen Saison. Aber eine elementare Frage gilt es noch zu klären: Wird der Bob auch im Eiskanal bestehen? Dies werden die in dieser Woche geplanten Testläufe beantworten. Dann wird sich zeigen, ob das Chassis und die Kufen-Gleitfähigkeit des Bobs sowie sein Fahrverhalten den Erwartungen des Projektteams und der Sportler entsprechen.

Ein paar Tage nach den Versuchen im Windkanal wurde der Prototyp des 2er-Bobs erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Am Swiss Innovation Forum in Basel ermöglichte „ETH transfer“ an einem Stand einen Blick auf Citius. Dort standen Christian Reich und weitere Mitglieder des Projektteams zur Verfügung um Auskünfte über ihr „Baby“ zu geben. Auf einem Bildschirm erhielten die Besucher zudem durch eine Präsentation, ergänzt mit kurzen Videoclip-Einschüben, Einblick in einen Teil der vergangenen Produktionsprozesse. 

Das Projekt „CITIUS“

Der Schweizerische Bobverband hat sich mit der ETH Zürich und rund zehn Industriepartnern (sia Abrasives, Sika, Indrohag, Georg Kaufmann, Quadrant, Bucher, AUDI, Promec Estech, Ruag, V-Zug und Franz Marty) mit dem Ziel zusammengetan, den Siegerbob für die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver zu bauen. Das dazu im Jahr 2007 lancierte Projekt „CITIUS“ hat sich damit hohe Ziele gesteckt, die es in einem engen Zeitrahmen zu erreichen gilt.

 
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