Veröffentlicht: 01.12.08
Kristallografie

Kristallografen finden am Computer neuen Supraleiter

Berechnungen von Forschern um Artem Oganov vom Laboratorium für Kristallografie sagen voraus, dass Germaniumhydrid schon bei relativ hohen Temperaturen supraleitend wird, aber sich besser verarbeiten lässt als die bisher bekannten Hochtemperatur-Supraleiter.

Niklaus Salzmann
Die Struktur von Germaniumhydrid unter hohem Druck gemäss den Berechnungen. Blau die Germanium-Atome, orange die Wasserstoffatome. (Bild: zVg)
Die Struktur von Germaniumhydrid unter hohem Druck gemäss den Berechnungen. Blau die Germanium-Atome, orange die Wasserstoffatome. (Bild: zVg) (Grossbild)

Bei Menschen, die sich mit Supraleitern befassen, gilt 196° Celsius unter null als hohe Temperatur. Denn dort, bei 77 Kelvin in der Messeinheit der Physiker, liegt der Siedepunkt von Stickstoff. Auf diese Temperatur lässt sich ein Material demnach mit flüssigem Stickstoff, der billig und einfach herzustellen ist, herunterkühlen. Deshalb sind Materialien, die bei dieser Temperatur supraleitend sind, interessant für technische Anwendungen. Solche Materialien existieren, sie werden „unkonventionelle Supraleiter“ genannt – unkonventionell deshalb, weil der Mechanismus der Supraleitung in ihnen nicht verstanden ist.

Die höchste Sprungtemperatur – die Temperatur, unterhalb welcher ein Material supraleitend ist – wurde bis jetzt bei einem Cuprat, einer Kupferverbindung, gefunden und liegt bei 166 K (-107°C). Das Problem: Cuprate habe eine ähnliche Konsistenz wie Graphit, das wir von Bleistiftminen kennen. Sie sind schwierig zu verarbeiten, bisher ist es beispielsweise nicht gelungen, lange Drähte aus ihnen zu produzieren. Zudem sind Cuprate schwierig herzustellen und oft giftig.

Diese Probleme bestehen bei konventionellen Supraleitern nicht, aber die bisher bekannten werden erst weit unter dem Siedepunkt von Stickstoff supraleitend, irgendwo zwischen dem absoluten Nullpunkt und 39 Kelvin (-234°C).

Es fehlen noch 13 Grad

Wissenschafterinnen und Wissenschafter suchen nun nach einem konventionellen Supraleiter, dessen Sprungtemperatur über 77 Kelvin liegt. Diesem Ziel ist ein Team von Wissenschaftern um Artem Oganov vom Labor für Kristallografie der ETH Zürich einen grossen Schritt näher gekommen. Computerberechnungen ergaben, dass Germaniumhydrid (GeH4) ein konventioneller Supraleiter mit einer Sprungtemperatur von 64 Kelvin ist, wie sie kürzlich in Physical Review Letters schrieben. Es fehlen also nur noch 13 Grad bis zur Stickstoffgrenze.

Diese 13 Grad können möglicherweise überwunden werden, indem das Material mit Zinn oder Silikon dotiert wird. Allerdings muss Germaniumhydrid auch unter einem hohen Druck stehen, um supraleitend zu werden: rund zwei Megabar sind erforderlich, also etwa eine Million Mal mehr als der Reifendruck eines Autos. Industriell kann ein solcher Druck nicht erreicht werden, in Labors jedoch schon. Bereits diesen Monat will ein Labor in Deutschland Germaniumhydrid diesem Druck aussetzen.

Ein Professor als Postdoktorand

Artem Oganov zweifelt nicht daran, dass die Ergebnisse der Laborexperimente mit seinen Berechnungen übereinstimmen werden. Seine Algorithmen haben sich bereits für andere Materialien bewährt. So stimmten etwa die Berechnungen für SiH4 mit den Messungen überein, während frühere Berechnungen anderer Gruppen weit daneben lagen. Als Oganov vor drei Jahren seine Methode erstmals publizierte, sorgte dies weltweit für Aufregung (siehe ETH-Life-Artikel vom 22. Dezember 2005). Auf seine ausgeschriebene PostDoc-Stelle bewarb sich ein Professor, „einer der schlausten theoretischen Physiker Chinas“, sagt Oganov. Yanming Ma erhielt die Stelle und war während der zwei Jahre in Oganovs Gruppe an der ETH Zürich an zahlreichen Entdeckung beteiligt. Inzwischen ist er nach China zurückgekehrt. Die aktuelle Veröffentlichung über Germaniumhydrid entstand als Zusammenarbeit der Gruppen von Ma und Oganov. Erstautorin ist Mas Doktorandin Guoying Gao.

Oganov selber tritt heute Montag, 1. Dezember, eine Professur an der State University of New York an, wo er ein eigenes Labor führen wird. Dort sucht er unter anderem weiter nach Supraleitern. Ein Ziel ist, aus vorgegebenen Elementen wie Ge und H alle möglichen stabilen Strukturen zu finden – vielleicht ist eine davon ein interessanter Supraleiter.

Supraleitung

Von Supraleitung spricht man, wenn ein Material unterhalb einer gewissen Temperatur zu einem perfekten Leiter wird. Das bedeutet, dass elektrischer Strom ohne Widerstand hindurchfliessen kann. Entdeckt wurde das Phänomen 1911 vom Niederländer Kamerlingh Onnes. Supraleiter werden heute erst in einigen wenigen Gebieten angewendet, etwa in der Kernspintomografie, in Magneten des Teilchenbeschleunigers LHC am CERN oder in einzelnen Magnetschwebebahnen.

Literaturhinweis

Gao G, Oganov A R, Bergara A, Martinez-Canales M, Cui T, Iitaka T, Ma Y & Zou G. Superconducting High Pressure Phase of Germane. Physical Review Letters. 5 September 2008; 101, 107002. doi: 10.1103/PhysRevLett.101.107002

 
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