Veröffentlicht: 13.10.08
Permafrost

Online-Daten vom Matterhorn

Ein Netzwerk von Sensoren zeichnet derzeit im Permafrostbereich des Hörnligrats am Matterhorn Daten zu Gefrierprozessen, Felsbewegungen sowie den Temperaturverlauf auf. Die drahtlose Onlineüberwachung könnte in Zukunft für das Gefahrenmanagement genutzt werden.

Simone Ulmer
Mit dem Helikopter werden Material und Personen für das Projekt PermaSense auf das Matterhorn geflogen.
Mit dem Helikopter werden Material und Personen für das Projekt PermaSense auf das Matterhorn geflogen. (Grossbild)

Durch kleine Überdachungen vor leichterem Steinschlag, Lawinen, Wind und Wetter geschützt, trotzen die kleinen grauen Kästchen den garstigen Bedingungen des Hörnligrats. Das im Juli dieses Jahres auf dem Matterhorn von der ETH Zürich, Uni Zürich, Uni Basel und EPF Lausanne installierte Sensorennetzwerk liefert wichtige Daten, mit denen Prozesse in Permafrostregionen besser verstanden werden können. Die Messtechnik, die für das Projekt PermaSense auf dem Matterhorn installiert wurde, könnte den Weg für eine zukünftige Überwachung in Echtzeit von durch Steinschlag- oder Bergsturz-gefährdeten Gebieten bereiten.

Im Felsabbruchgebiet von 2003

Die Messgeräte sind auf dem Matterhorn in der Region installiert, in der sich im Hitzesommer 2003 grosse Felsmassen lösten. „Als ich mich das erste Mal in dieses Gelände abseilte, um die Installation des Sensornetzwerks vorzubereiten, wirkte alles bedrohlich instabil“, sagt Jan Beutel, Senior Researcher am Institut für Technische Informatik und Kommunikationsnetze (TIK) der ETH Zürich, und ausgebildeter Bergführer. Er ist der technische Leiter des Projekts PermaSense, einer Kooperation der ETH Zürich, Uni Zürich, Uni Basel und EPF Lausanne. „Nach mehrfachem Arbeiten im Gelände glaubt man aber die Situation ganz gut zu kennen und empfindet sie längst nicht mehr so drastisch“.

Schwindelfreiheit und Erfahrung am Berg sind für die Projektmitglieder von Vorteil. Mit Unterstützung von Hubschrauber, Seil und Haken brachten sie ihr Messnetz in die Steilwand ein. Mit dem Akkubohrer wurden dafür bis zu ein Meter tiefe Löcher in den Fels gebohrt. Glasfaserröhren mit einem Durchmesser von 14 Millimetern, bestückt mit Sonden und einer speziell angefertigten Elektronik, wurden in die Löcher eingebracht. Sie messen den Eis- und Wasserdruck sowie die Temperatur im Fels und in den Klüften, einschliesslich der Kluftbewegungen, um zu sehen, ob und wann sich die Klüfte weiten.

Miniaturcomputer umgeben von Steinschlag und Lawinen

Über diverse Kabel sind die unterschiedlichen Sensoren mit den etwa Teeschachtel-grossen, auf die Felswand montierten Sensorknoten verbunden. In diesen Mess- und Kommunikationseinheiten befindet sich die Sensorelektronik, ein Miniaturcomputer mit Funkeinheit von der Grösse einer Streichholzschachtel, ein Speicher mit einem Gigabyte Kapazität sowie eine spezielle Batterie, die eine Lebensdauer des Systems von mindestens drei Jahren ermöglicht. Damit die Sensorknoten mit dem knappen Energievorrat über diese lange Zeit auskommen, wird nur für einen Bruchteil von Sekunden, alle zwei Minuten, gemessen, gespeichert und kommuniziert, erklärt Beutel. „Alle Komponenten sind für die extremen Bedingungen am Berg sowie für Temperaturen bis zu minus 40° C ausgelegt und getestet.“

Kommunikationsprobleme vermeiden

Herzstück des Netzwerks sind die Sensorknoten. Diese zusammen mit den notwendigen Algorithmen und der Software, haben die Teams der ETH Zürich, der Uni Zürich und der Uni Basel entwickelt. Die derzeit insgesamt 15 Knoten übermitteln ihre Daten an eine zentrale Basisstation. Diese speist die Daten mittels eines Handys und dem General Packet Radio Service (GPRS), ins Internet ein, sodass sie von den Forschenden auf einem Bildschirm permanent beobachtet werden können. Dabei sei eine besondere Herausforderung gewesen, das Handy über das Internet zu aktivieren. „Obwohl das mobile Internet mittlerweile ganz alltäglich ist, gibt es für eine zuverlässige Kommunikation in der umgekehrten Richtung noch keine vorgefertigten Lösungen“, sagt Beutel. Für das Know-how einer zuverlässigen Datenerfassung sind Beutel und sein Team zuständig. „Die Daten müssen absolut korrekt sein, nichts darf verloren gehen“. Wie das in dieser extremen Umgebung erreicht und gewährleistet werden kann, daran arbeiten die Forscher derzeit noch.

Dem Permafrost auf den Grund gehen

Bei dem interdisziplinären Projekt profitieren Informatiker, Elektroingenieure und Geowissenschaftler gleichermassen. Stephan Gruber, Oberassistent am Geographischen Institut der Uni Zürich und geowissenschaftlicher Leiter von PermaSense, erforscht seit Jahren den Permafrost im Hochgebirge. Als Permafrost wird Fels oder Boden bezeichnet, der über zwei Jahre hinweg Temperaturen von 0°C oder darunter aufweist. Da im Sommer die so genannte Auftauschicht über dem Permafrost positive Temperaturen aufweist, ist dieser Oberflächenbereich in Modellen schwierig zu erfassen. Um aber den Permafrost im Modell verlässlich abzubilden, braucht es zuverlässige Daten, die sich die Forscher nun von ihrem neuen Messsystem erhoffen.

Potential für effektives Gefahrenmanagement

Mit der neuen Technik möchten die Wissenschaftler auch genauere Kenntnisse über einzelne massgebliche Prozesse in Permafrostregionen erhalten. Beispielsweise darüber, was bei der Frostverwitterung oder der Eisbildung in Klüften und Felsspalten und bei den dadurch verursachten Bewegungen, genau passiert. Erste, vielversprechende Auswertungen gibt es bereits, sagen die Forscher, für genauere Auswertungen müsse jedoch einige Monate kontinuierlich gemessen werden. Mit ihnen könne ab Mitte 2009 gerechnet werden, sagt Gruber.

Wichtig sei für den Erfolg des Projekts die Symbiose von Wissenschaft und Technologie. Schlüssel für die inderdisziplinäre Zusammenarbeit ist für Jan Beutel und Stephan Gruber, dass beide Seiten ein gutes Verständnis des fachfremden Bereiches und für die spezielle Anwendungen hätten. Ausserdem braucht es absolute Profis, die am Projekt arbeiten. Bringt das Team dereinst ein perfekt funktionierendes System auf den Markt, könnte dies in vielen Bereichen, in denen es um Gefahrenmanagement geht, zum Einsatz kommen.

PermaSense

Initiiert wurde das Projekt im Rahmen des National Competence Center in Research Mobile Information and Communication Systems (NCCR MICS) und mit Unterstützung des Bundesamts für Umwelt. Dabei gilt es Technologien zu entwickeln, die es mit Hilfe drahtlos vernetzter Sensoren erlauben die Umwelt auf Schadstoffe oder komplexe, verteilte Vorgänge in der Natur zu überwachen. PermaSense ist eines dieser Projekte. Längerfristig sind die Anwendungen deshalb neben dem wissenschaftlichen Sammeln von Erkenntnissen vor allem auch für das Gefahrenmanagement von Bedeutung.

 
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