Veröffentlicht: 28.10.08
Klimawissenschaften

Der Stand der Dinge in Sachen Klimawandel

Eine Zusammenfassung des Stands der Forschung zum Thema Klimawandel liefern zwei Wissenschaftler in einer Online-Publikation von Nature Geoscience. Sie könnte Entscheidungsträgern als Grundlage dienen, den sinnvollsten Weg zu wählen – den rein ökonomischen oder den wissenschaftlichen und sozialverträglichen.

Simone Ulmer
Unvergessen: Die Flutkatastrophe von New Orleans. (Foto flickr)
Unvergessen: Die Flutkatastrophe von New Orleans. (Foto flickr) (Grossbild)

Spätestens seit dem vierten Bericht des Intergovernmentel Panel on Climate Change (IPCC), der im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde, ist eine langjährige Vermutung zur Gewissheit geworden: Der vom Menschen verursachte Kohlendioxidausstoss ist hauptsächlich verantwortlich für die Klimaerwärmung. Darüber sind sich nahezu alle am Bericht beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einig. Wie gross die Änderungen in der Zukunft sein werden und wie dem Klimawandel zu begegnen ist, darüber scheiden sich jedoch die Geister. Eine sachliche Diskussionsgrundlage liefern Reto Knutti, Professor am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich, und Gabriele Hegerl von der School of Geosciences der University of Edinburgh in ihrer Zusammenfassung der Forschungsresultate bis zurück zum Beginn der Klimabeobachtung.

Klimasensitivität bestimmen

Um die langfristige Klimaänderung abzuschätzen, muss man im Wesentlichen zwei Grössen kennen, sagt Reto Knutti. Einerseits müsse man wissen, wie viel des CO2, das vom Menschen ausgestossen wird, in der Atmosphäre verbleibt und welcher Teil von den Ozeanen und der Biosphäre aufgenommen wird. Andererseits muss man die Auswirkungen des CO2 auf das Klimasystem kennen, die sogenannte Klimasensitivität. „ Diese beschreibt die globale Erwärmung im Gleichgewicht bei einer Verdopplung des atmosphärischen CO2“. Die Grösse misst, wie stark das Klima auf CO2 reagiert und entspricht der zu erwartenden Temperatur, um die sich das Klima erwärmen wird. Das heisst, je grösser die Zahl, desto grösser sind die Klimaeffekte.

Grosse Unsicherheit bei den Maximalwerten

Schätzungen für diese unbekannte Grösse erhalten die Forscher durch Klimamodelle und durch die Untersuchung kurzfristiger Ereignisse, in denen sich das Klima veränderte. Beispielsweise wird anhand der CO2-Daten und dem Temperaturverlauf der letzten Eiszeiten oder der Abkühlung nach dem Vulkanausbruch des Mount Pinatubo die Sensitivität des Klimas abgeschätzt. Die Prozesse in einer Eiszeit oder bei einem Vulkanausbruch sind jedoch anders als bei der heutigen Klimaerwärmung und die Resultate daher nicht einfach übertragbar. Anhand von Klimamodellen ist bekannt, dass wenn sich nur der CO2-Gehalt verdoppeln und keine Rückkopplungen – verursacht etwa durch Wasserdampf, Wolken oder erhöhte Strahlungsabsorption der Erde – erfolgen würden, die Erwärmung etwa ein Grad Celsius betragen würde. Werden die Rückkopplungseffekte aber berücksichtigt, sind die Modelle mit grossen Unsicherheiten behaftet. Derzeit gehen die Klimaforschenden davon aus, dass sich der Temperaturanstieg, verursacht durch die CO2-Emissionen einschliesslich den Rückkopplungseffekten, um das Dreifache, also etwa um drei Grad Celsius erhöhen wird. Der Schwankungsbereich liegt zwischen 2 bis 4,5 Grad Celsius. Der Maximalwert ist jedoch mit grossen Unsicherheiten behaftet: Die Modelle und Berechnungen zeigen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Erde auch um 8 bis 10 Grad Celsius erwärmen könnte. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist zwar relativ klein, aber die Auswirkungen wären katastrophal, sagt Knutti.

Auffallend ist, dass bereits die ersten Schätzwerte für eine Erwärmung bei Verdoppelung des CO2-Ausstosses Ende des 19. Jahrhunderts im selben Bereich lagen wie die heutigen. In den vergangenen zehn Jahren wurde viel Detailwissen gewonnen, das Gesamtbild habe sich aber nicht wesentlich verändert, sagt Knutti. Mit dem heutigen Wissen stellt sich die Frage, was ein „erträglicher“ CO2-Anstieg wäre. „Die EU postulierte, dass ein Wärmeanstieg von zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit akzeptabel wäre“, sagt Knutti. Das würde bedeuten, dass der CO2-Gehalt weltweit auf maximal 450 parts per Million (ppm) ansteigen dürfte. Heute liegt er aber bereits bei etwa 380 ppm. Um die 450 ppm nicht zu überschreiten, müsste der CO2-Ausstosses global bis Mitte des Jahrhunderts mindestens halbiert werden. „Das Problem ist jedoch, dass dadurch Entwicklungsländer wie Indien und China in ihrem wirtschaftlichen Aufschwung gebremst werden würden“, sagt Knutti. 

Handlungsmöglichkeiten 

„Unsere Zusammenfassung zeigt, dass die Arbeiten der vergangenen zehn Jahre zwar viele faszinierende, neue Einblicke in unser Klimasystem brachten, jedoch kaum mehr Gewissheit über die langfristig maximal zu erwartende Erwärmung. Für Entscheidungsträger könnte die Zusammenfassung jedoch eine Grundlage für weitere Schritte liefern“, sagt Knutti. Ob beispielsweise eher Standard-ökonomische Ideen zum Tragen kommen sollen, nach dem Prinzip der Diskontierung. Dabei wird das Geld, anstatt es für die Verminderung der Emissionen und Präventivmassnahmen auszugeben, gespart, vermehrt und erst dann investiert, wenn es Ende des Jahrhunderts tatsächlich zur Katastrophe kommen sollte – die dann laut dieser Theorie durch die Vermehrung des Geldes verhältnismässig kostengünstig zu bewältigen wäre. Solchen Überlegungen hat sich der Ökonom Sir Nicholas Stern in seinem Bericht vom Oktober 2006 entschieden entgegen gestellt. Er ist der Ansicht, dass die Folgen einer Klimakatastrophe wie Wasserknappheit oder Überflutung von Lebensräumen von Millionen von Menschen nicht mit Geld zu lösen sind und jetzt gehandelt werden muss.

Die Analyse von Knutti und Hegerl zeigen, dass die kurzfristigen Trends und der Minimalwert der zu erwartenden Klimaerwärmung bei Verdopplung des CO2-Ausstosses mit geringem Spielraum, und deshalb sehr gut, bestimmt werden konnte. Bleibt zu hoffen, dass die verbleibenden grossen Unsicherheiten im Maximalbereich die Entscheidungsträger zum aktiven Handeln bewegen – auch wenn durch die herrschende Finanzkrise bereits der Ruf nach Sparmassnahmen bei der Klimaprävention laut wurde.

Literaturhinweis:

Knutti R & Hegerl G: The equilibrium sensitivity of the Earth’s temperature to radiation changes, Nature Geosciences, www.nature.com/naturegeoscience Published online: 26 October 2008 | doi:10.1038/ngeo337

 
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