Veröffentlicht: 09.10.08
Nobelpreise 2008

Mit Quallenprotein und Quarks zu Nobelpreis

Die naturwissenschaftlichen Nobelpreise sind vergeben: Das Nobelpreiskomitee ehrte Arbeiten an Papilloma- und HI-Viren, an einem Protein aus einer Qualle und an Theorien, weshalb es mehr Materie als Antimaterie und letztlich das Universum gibt.

Peter Rüegg und Simone Ulmer
Verhalf zum Chemie-Nobelpreis: Die Qualle Aequorea victoria enthält ein Protein, das unter UV-Licht fluoreszierend leuchtet. (Bild: Sierra Blakely, wikipedia)
Verhalf zum Chemie-Nobelpreis: Die Qualle Aequorea victoria enthält ein Protein, das unter UV-Licht fluoreszierend leuchtet. (Bild: Sierra Blakely, wikipedia) (Grossbild)

Gestern wurde mit dem Nobelpreis für Chemie der letzte der drei „naturwissenschaftlichen“ Nobelpreise verliehen. Er geht an die US-Forscher Martin Chalfie und Roger Y. Tsien sowie ihren japanischen Kollegen Osamu Shimomura für ihre Arbeiten an einem grünlich leuchtenden Protein, dem Green Fluorescent Protein (GFP), das zu einem der wichtigsten Werkzeuge der modernen Biologie geworden ist.

Qualle fluoresziert unter UV-Licht

Als Entdecker des Proteins gilt der heute 80-jährige Japaner Shimomura vom Meeresbiologielabor in Woods Hole, Massachusetts, der einen Drittel des Preisgelds von 1,6 Millionen Schweizer Franken erhält. Ihm gelang es 1962, das GFP aus der im Pazifik lebenden Qualle Aequorea victoria zu isolieren. Rund 30 Jahre später entdeckte der 61-jährige Neurobiologe Martin Chalfie von der Columbia-Universität, wie das GFP als leuchtende genetische Markierung in biologischen Systemen eingesetzt werden kann. Roger Y. Tsien von der Universität Kalifornien in San Diego ist es schliesslich gelungen, Zellen und Zellbestandteile auch in anderen Farben einzufärben. Dank den Arbeiten des 56-jährigen Physiologen leuchten Zellen heute in verschiedenen Farben.

Das GFP ist zu einem der wichtigsten Werkzeuge der modernen Biologie geworden. Mit Hilfe von GFP haben Forscher verschiedene Methoden entwickelt, um biologische Vorgänge sichtbar zu machen, etwa wie sie sich Nervenzellen im Gehirn entwickeln oder wie sich Krebszellen verbreiten.

Alltag in ETH-Labors

Für die Entwicklung der modernen Biowissenschaften sei diese Technik "zwingend" gewesen, erklärte die Nobelpreisjury. Dies bestätigt auch ETH-Professor Wolf-Dietrich Hardt. „Das GFP hat viele aktuelle Forschungsrichtungen in der Biologie überhaupt erst ermöglicht“, betont der Mikrobiologe, „der Nobelpreis ist eine sehr schöne Anerkennung für die Entdecker dieses interessanten Phänomens und phantastischen Werkzeugs.“ In seinen Labors werde täglich mit dem GFP gearbeitet, unter anderem, um pathogene Salmonellen in Infektionsexperimenten zu studieren. Die GFP-Markierung erlaube es, einzelne Infektionsvorgänge gezielt per Fluoreszenzmikroskopie zu betrachten (ETH Life berichtete).

Physik-Nobelpreis für grundlegende Theorie

Der Physik-Nobelpreis, der am Dienstag verliehen wurde, ging fast vollständig nach Japan. Erhalten haben ihn der aus Japan stammende US-Forscher Yoichiro Nambu und seine Kollegen Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa. Ihre Entdeckungen bieten eine Erklärung, weshalb das Universum überhaupt existiert.

Der 87-jährige Nambu, der die Hälfte des Preisgelds erhält, hatte 1960 die These aufgestellt, dass es in der Natur zu spontanen Symmetrie-Brechungen kommen muss, damit das Universum existieren kann. Physiker sind überzeugt, dass den Naturgesetzen, die unsere Welt bestimmen, Symmetrien zugrunde liegen. Beim Urknall vor 14 Milliarden Jahren hätte sich demnach gleich viel Materie und Antimaterie bilden müssen. Weil Antimaterie und Materie sich gegenseitig auslöschen und nur elektromagnetische Strahlung übrig bleibt, dürfte das Universum heute gar nicht existieren. Diese Symmetrie erhielt jedoch eine Brechung und pro zehn Milliarden Antimaterieteilchen blieb ein einziges Materiepartikel übrig. So lassen sich bis heute keine signifikanten Mengen von Antimaterie im Universum nachweisen, wohl aber riesige Mengen an Materie - Galaxien, Sterne, Lebewesen. Nambu entwickelte die Theorie der spontanen Symmetriebrechung anhand der Supraleitung und übertrug sie später auf die Teilchenphysik.

Der Zeit voraus

Der heute 64-jährige Kobayashi und der 68-jährige Maskawa, die je ein Viertel des Preises erhalten, bauten auf Nambus Erkenntnissen auf und lieferten 1972 eine Erklärung für das Phänomen. Die Theorie setzte allerdings voraus, dass das Standardmodell der Teilchenphysik erweitert werden musste. Das bestehende Quarkmodell, das auf drei Quarks basierte, wurde um mindestens drei weitere Quarks erweitert. Bis 1994 wurden denn auch wie vorausgesagt die drei zusätzlichen Elementarteilchen experimentell nachgewiesen. Weitere Experimente in den Jahren 2002 und 2003 bewiesen, dass die japanischen Physiker mit ihrer Theorie richtig lagen.

Weshalb beim Urknall mehr Materie als Antimaterie übrig blieb, können die Arbeiten der Nobelpreisträger noch nicht ganz erklären. Antworten auf diese Frage erhoffen sich Physiker vom Teilchenbeschleuniger, dem Large Hadron Collider am CERN, der im September in Betrieb genommen wurde.

Virenforschung ausgezeichnet

Die Virologie dominierte den diesjährigen Nobelpreis für Medizin. Der deutsche Wissenschaftler Harald zur Hausen wurde am letzten Montag für seine bahnbrechende Forschung zum Papillomavirus ausgezeichnet. Er teilt sich den Preis mit den HIV-Forschern Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier.

Der emeritierte Heidelberger Krebsforscher Harald zur Hausen leitete zwanzig Jahre lang das Heidelberger Krebsforschungszentrum. Zur Hausens spezielles Forschungsgebiet war die Entstehung von Krebs aus Virusinfektionen. Nun wurde er für seine bahnbrechende Forschungsarbeit auf diesem Gebiet, und dem Nachweis, dass bestimmte Papillomaviren Gebärmutterhalskrebs auslösen können, mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Krebs durch Vireninfektion

In der Begründung des Nobel-Komitees hiess es, dass zur Hausen mit seiner Hypothese, dass Papillomaviren Krebs verursachen können, gegen ein verbreitetes Dogma angelaufen wäre. Seine über zehnjährige Forschungsarbeit an den Papillomaviren führte dazu, dass der Infektionsverlauf des Papillomavirus charakterisiert werden konnte und es gelungen ist, einen Impfstoff gegen bestimmte kanzerogene Viren zu entwickeln.

Gebärmutterhalskrebs ist die zweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen. Jährlich erkranken über 500'000 Frauen daran. Weltweit sind mehr als fünf Prozent der Krebserkrankungen auf die Infektion mit dem Papillomavirus zurückzuführen.

Entdecker des HI-Virus

Eine Hälfte des mit 1,5 Millionen Euro dotierten Preises teilen sich Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier, die vor 25 Jahren im Institut Pasteur, in Paris, das HI-Virus entdeckten und isolierten. Ari Helenius, Professor für Biochemie an der ETH Zürich und Virologe, ist erfreut darüber, dass mit dem Nobelpreis für Medizin in diesem Jahr die Virologie bedacht wurde. Auch mit der Wahl der damit ausgezeichneten Forscher ist er sehr zufrieden. „Alle drei Wissenschaftler haben sehr bedeutende Arbeit beim Erforschen von Krankheiten geleistet, die weltweit Millionen von Opfern fordern."

Die Arbeit von Barré-Sinoussi und Montagnier bereitete die Grundlage für die Forschung am HI-Virus und für das heutige Wissen über Aids, heisst es in der Begründung. „In der Forschergemeinschaft gibt es keinen Zweifel, dass die beiden Franzosen das Virus entdeckt und als erste seine wichtigsten Eigenschaften charakterisiert haben“ sagte Maria Masucci vom Nobelpreis-Komitee laut einer Pressemitteilung. Damit nimmt sie Bezug auf den jahrelang erbitterten Rechtsstreit zwischen dem amerikanischen Virologen Robert Gallo und Luc Montagnier, die beide die Entdeckung für sich beanspruchten.

 
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