Veröffentlicht: 26.09.08
Collegium@Irchel

Krebs hat viele Gesichter

Am ersten Diskussionsforum vom Collegium Helveticum und dem Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften diskutierten drei Experten über gezielte Krebstherapien. Und lieferten dem Publikum vielseitige Einblicke in das komplexe Thema.

Saskia Wegmann
Dario Neri forscht über therapeutische Antikörper, die die Wirkstoffe von Arzneien über die Blutzirkulation in den Tumor befördern.
Dario Neri forscht über therapeutische Antikörper, die die Wirkstoffe von Arzneien über die Blutzirkulation in den Tumor befördern. (Grossbild)

„Wieso ist es so schwierig, ein wirkungsvolles Medikament gegen Krebs zu finden?“. Diese Frage stellte Michel Aguet, Direktor des Schweizerischen Instituts für Experimentelle Krebsforschung (ISREC) in Epalinges gleich zu Beginn des Diskussionsforums, das am Mittwochabend an der Universität Irchel stattgefunden hat. Aguet war neben Dario Neri, Professor für Biomakromoleküle am Institut für pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich, und Thomas Cerny, Onkologe am Kantonsspital St. Gallen und Präsident der Krebsliga Schweiz, einer der geladenen Experten der Veranstaltung. Die drei stellten sich der Herausforderung und gaben in ihren Referaten und in der anschliessenden Diskussion mit dem Publikum mögliche Antworten.

Thema von verschiedenen Standpunkten beleuchtet

Die drei Fachleute aus unterschiedlichen Fachrichtungen, beleuchteten das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven und das Publikum bekam so einen besonders breiten und informativen Einblick. Aguet widmete sich in seinem Teil dem „Hauptproblem“ überhaupt: Der Invasion von unkontrollierten Krebszellen in das gesunde Gewebe, wo dann Metastasen gebildet werden. Obwohl es einige erfolgreiche Krebstherapien gibt, existiert noch kein Mittel gegen dieses Hauptproblem. Spannend war sein Exkurs in die Entwicklungsgeschichte von Krebsmedikamenten. Viele wirksame Mittel wurden nämlich rein zufällig entdeckt. Etwa im ersten und im zweiten Weltkrieg, als Senfgas als hautschädigender chemischer Kampfstoff eingesetzt wurde. Noch während des zweiten Weltkrieges entdeckten Forscher, dass sich Lost, wie das Senfgas auch noch genannt wird, dazu eignet, das unkontrollierte Zellwachstum und die Zellteilung, wie das für Tumore typisch ist, zu hemmen. Heute werden Medikamente gegen Krebs rational und gezielt entwickelt, erklärt Aguet. Das Problem dabei: Die heterogenen Tumore. Jeder verhalte sich anders. Deshalb sei es wichtig, die Krebsbehandlung an das pathologische Muster des Tumors anzupassen.

Tumor aushungern lassen

Dario Neri ist im Gegensatz zu Aguet und Cerny studierter Chemiker und als solcher nicht für die Produktion und auch nicht für die Anwendung der Medikamente zuständig. Er sieht ein grosses Problem darin, dass nur 5-10 Prozent eines Krebsmedikamentes direkt in den Tumor gelangen. Dies sei zu selektiv und ineffizient für eine erfolgreiche Behandlung. Er widmet seine Forschung deshalb den therapeutischen Antikörpern, die eingesetzt werden, um einen Tumor „aushungern“ zu lassen. Tumore benötigen Blutgefässe, die ihn für sein Wachstum mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen. Mit speziellen Antikörpern, die an die Blutgefässe im Tumor andocken, wird das Wachstum neuer Blutgefässe blockiert. Zudem können diese Antikörper gut mit Antikrebs-Wirkstoffen beladen werden, die die Arznei direkt in den Tumor schleusen und die gesunden Organe vor schädigenden Nebenwirkungen schützen.

Leben mit Krebs als Zukunftsszenario

Eine weitere Sichtweise zeigte Thomas Cerny. Der Onkologe und Präsident der Krebsliga Schweiz ging in seinem Referat auf ein Leben mit Krebs ein. Da die Menschen immer älter werden und im hohen Alter an Krebs erkranken, erwartet man, dass die Zahl der Betroffenen weiter zunehmen wird. Auch werden viele Menschen immer länger mit der Krankheit leben und sehr wenige werden bereits bei der ersten Krebserkrankung sterben. Laut Cerny lässt sich ein Tumorleiden bereits mit heutigen Medikamenten wie eine chronische Krankheit behandeln. Da stelle sich ganz banal auch die Frage nach den Kosten. Er plädiert deshalb nachdrücklich für die Krebsprävention. Diese beinhaltet Früherkennungsinstrumente wie die Mammographie oder die Darmspiegelung und vor allem die Tabakprävention. Rauchen sei nämlich nach wie vor die häufigste Ursache für eine Krebserkrankung und die Raucherprävention eine der effizientesten Mittel im Kampf gegen Krebs.

Trotz der unterschiedlichen Sichtweisen und Schwerpunkten waren sich die drei Experten einig, dass eine Zusammenarbeit von Hochschulforschung, Industrie und Medizin bei der Entwicklung von Medikamenten allgemein elementar ist. „Keiner dieser Bereiche und auch keiner von uns dreien hat die ganze Weisheit gepachtet“, unterstrich Neri am Ende des Abends, „alle tragen einen Teil zur Lösung des Problems bei.“