Veröffentlicht: 04.09.08
Kreationismus in Schulbüchern

Widerlegte Theorie durch Hintertüre wiederbelebt

Im letzten November kritisierten Wissenschaftler ein Biologielehrmittel für Unterstufenschüler im Kanton Bern. Dieses stellte die Evolutionstheorie und den Schöpfungsglauben auf die gleiche Stufe. Im Juni kam nun die zweite überarbeitete Fassung auf den Markt – und wurde erneut angefochten, denn der Verlag strich das fragliche Kapitel heraus und ersetzte es mit einem Teil über Ethik. Paul Schmid-Hempel, Professor für Experimentelle Ökologie, erklärt im Interview mit ETH Life, weshalb Kreationismus in Schulbüchern und letztlich in einer aufgeklärten Gesellschaft nichts verloren hat.

Peter Rüegg
Paul Schmid-Hempel, Professor für experimentelle Ökologie: "Kreationismus ist Unsinn. Es wird versucht, etwas wiederzubeleben, das schon vor 150 Jahren widerlegt wurde."
Paul Schmid-Hempel, Professor für experimentelle Ökologie: "Kreationismus ist Unsinn. Es wird versucht, etwas wiederzubeleben, das schon vor 150 Jahren widerlegt wurde." (Grossbild)

Herr Schmid-Hempel, das Berner Biologielehrbuch „Naturwert“ wurde im Juni trotz Überarbeitung erneut stark kritisiert. Was ist der Grund für die Beanstandung?

Das Lehrmittel kam letztes Jahr heraus und enthielt Teile, die in ihrer Auslegung haarsträubend waren. So wurde die Schöpfungslehre gleichberechtigt mit der Evolutionstheorie, also der naturwissenschaftlichen Erklärung über Artenbildung und –entstehung auf die gleiche Stufe gestellt. Auf Protest hat der Schulbuchverlag des Kantons Bern das Werk überarbeitet. Die Gegenüberstellung wurde aber nicht wirklich richtig gestellt, sondern einfach gestrichen und durch einen Block unter anderem über ethische Fragen beim Umgang mit Lebewesen ersetzt Ich verstehe deshalb die Kritik an der überarbeiteten Version.

Der Verlagsleiter des Schulbuchverlags hat die erste Fassung verteidigt mit dem Hinweis auf die Mündigkeit der Lehrerinnen und Lehrer.

Wenn man nachsichtig und freundlich ist, so kann man das als gut gemeinten Versuch werten, die Kontroverse aufzugreifen. Schaut man jedoch genau hin, wurden Schöpfung und Evolution tatsächlich gleichberechtigt behandelt. In den Unterlagen für die Lehrer wurde sehr stark argumentiert, dass sie sich mit Fakten beschäftigen sollen, die eine andere Interpretation im Sinne einer Schöpfungsgeschichte zulassen. Die Verteidigung des Werks durch den Verlagsleiter ist etwas gar blauäugig.

War das die Absicht des Verlags?

Es ist bemerkenswert, dass in der ersten Auflage von „Naturwert“ im Kapitel „Schöpfung und Evolution“ drei Viertel des Inhalts den Schöpfungslehren von verschiedenen Kulturen gewidmet war und nur ein kleiner Teil der Evolution. Ich bin der Meinung, dass man in einem solchen Lehrbuch die Gegenüberstellung Schöpfung-Evolution allenfalls als Randbemerkung thematisieren kann, aber nur als Beispiel für die vielen philosophischen Implikationen der Evolutionstheorie, nicht als inhaltliche Alternativen. In den kritisierten Passagen wurde sogar geschrieben, dass die Evolution nicht bewiesen sei und die Fakten auch andere Schlüsse zuliessen.

Ist dies das einzige Lehrmittel der Schweiz, in das kreationistische Lehren eingeflossen sind?

Meines Wissens ist es das Einzige, das kreationistische Lehren enthält. Die besondere Brisanz daran ist, dass das Werk vom kantonalen Lehrmittelverlag vertrieben wird.

Besteht die Gefahr der Unterwanderung der Schulen durch Kreationisten?

Ja. Man beobachtet aktive Bemühungen der Kreationisten, ihr Gedankengut in die Schulen zu tragen. Der Verein Pro Genesis versucht dies mit Lehrmitteln, drei EDU-Kantonsräte haben im Kanton Zürich mit einem politischen Vorstoss zu erreichen versucht, dass an Zürcher Schulen die Schöpfungslehre gleichberechtigt neben der Evolution gelehrt werden müsste. Der Vorstoss wurde zum Glück hochkantig abgelehnt. Exponenten der EDU haben jedenfalls enge Verbindungen mit den Kreationisten. Auf Hochschulen haben sie kaum Einfluss, verbreiten ihre Informationen aber ebenfalls.

Welche Gefahr geht vom Kreationismus aus?

Die Situation in der Schweiz ist derzeit nicht dramatisch. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung steht auf dem Boden der Tatsachen und der wissenschaftlichen Erkenntnis. In Europa hat laut Umfragen der Stellenwert der Evolutionstheorie in den letzten 10 Jahren gegenüber dem Kreationismus sogar zugenommen. Gleichzeitig haben aber auch die Aktivitäten von pressure groups zugenommen. Eine Gefahr besteht vor allem im heutigen Klima des anything goes und der political correctness, den Kreationisten nachzugeben. Sie versuchen, Einfluss zu nehmen auf die Unterstufen, auf Politik und auf die Entscheidungsträger der Wirtschaft und so eine Deutungshoheit zu erreichen.

Wer sind die Träger dieser Ideen?

Es gibt verschiedene Quellen. Sie tragen untereinander Flügelkämpfe aus und vertreten verschiedene Strömungen. Pro Genesis ist am aktivsten. Es gibt auch zahllose kleine christliche Vereinigungen, manche von denen sind wohl in der Nähe von Freikirchen angesiedelt und inhärent gegen Darwins Auffassungen. Grundsätzlich sind diese Strömungen radikal in ihren diesbezüglichen Ansichten und sehr fundamentalistisch, wie etwa die Zeugen Jehovas.

Sind Kreationisten Seelenfänger?

Der Kreationismus floriert im Klima der allgemeinen Welt- und Gemütslage. Das treibt viele Leute auf die Sinnsuche, die gelegentlich in dogmatischem fundamentalistischem Denken endet. In der Schweiz stehen 60 Prozent der Bevölkerung hinter der Evolutionstheorie, ein Viertel sagt, sie sei falsch, der Rest ist unentschieden. Damit liegen wir im hinteren europäischen Durchschnitt. In den USA akzeptieren nur 40 Prozent die Evolutionstheorie, 40 Prozent stehen ihr ablehnend gegenüber.

Wie ist das bei den Lehrern?

Wenn man sich umschaut, dann gewinnt man den Eindruck, dass einige Lehrer anfällig für kreationistische Lehren sind. Interessanterweise sind auch oft Chemiker und Physiker empfänglich dafür, fast nie jedoch Biologen aus dem weiteren Fachgebiet. Es gibt den Fall eines renommierten Chemieprofessors aus Georgia, der auch schon Gastprofessor an der ETH war. Er ist ein hervorragender Chemiker, aber gleichzeitig überzeugter Kreationist.

Wie passt das zusammen? Einer solch abstrusen Idee nachzuhängen und gleichzeitig Wissenschaft auf hohem Niveau zu betreiben?

Es ist tatsächlich sehr abstrus, vor allem in Bezug auf das sogenannte Intelligent Design. Das besagt, dass im Lauf der Entwicklungsgeschichte der Designer, ein Gott, eingegriffen haben muss und physisch etwas veränderte, etwa Proteine. Das berühmte Beispiel ist das Flagellum, ein Fortbewegungsorgan des Bakteriums. ID-Anhänger sagen, dass die natürlichen Gesetze, die auf die darwinsche Evolutionstheorie zurückgehen, nicht erklären könnten, wie so etwas Komplexes entstehen könne. Es brauche die Einwirkung des Designers, damit sich die Flagellumproteine richtig anordnen. Das ist abstrus. Amüsiert kann man sich fragen: Weshalb soll zum Beispiel der Designer eingreifen, um die Proteine richtig zu platzieren, so dass das Bakterium sein Flagellum richtig verwenden kann, er greift aber nicht ein, um unseren Blinddarm, der uns Schwierigkeiten macht, zum Verschwinden zu bringen? Auf dieser Ebene kann man nicht mehr verstehen, weshalb jemand auf seinem Gebiet ein Topwissenschaftler ist und dem Kreationismus und dem ID anhängt.

Wie erklären Sie sich die Entstehung der Erbsubstanz?

Im Lauf der Evolution ist ja alles schrittweise aus Vorstufen entstanden. Man kann zeigen, wie ein Flagellum aus Vorläufern entstehen kann, und wie sich die Evolution des Immunsystems – ein anderes beliebtes Angriffsziel der Kreationisten – vollzogen hat, kann auch aufgezeigt werden. Man unterschätzt massiv, wie effizient und effektiv der Prozess von Mutationen und Selektion wirklich abläuft. Man kann den Prozess übrigens auch im Labor nachstellen. Das gleiche Prinzip gilt auch für die Erbsubstanz und den genetischen Code der DNA, die sich aus Vorläufern, etwa der Codierung mithilfe der RNA und deren Vorläufern entwickelte.

Woher stammt die Idee des Intelligent Designs?

Es ist die neuste Inkarnation des Kreationismus. Intelligent Design ist im Grunde genommen das Gleiche wie Kreationismus, man gibt ihm aber einen wissenschaftlichen Anstrich.

Wie weit ist Intelligent Design hierzulande verbreitet?

ID ist in den späten 80er und 90er in den USA aufgekommen und schwappte nach Europa über. Es zeigt sich heute im Verein Pro Genesis, es zeigt sich auch bei Schulbehörden und Ministerien etwa in Thüringen oder Polen, wo ebenfalls versucht wurde, Schöpfungsgeschichte und Evolution auf die gleiche Stufe zu stellen, wobei mit Schöpfungslehre immer ID gemeint war. In seltenen Fällen geht es auf die Young Earth Creationists zurück, die glauben, dass die Erde 6000 Jahre alt ist. Die ID-Anhänger sind etwas moderater.

Was kann man dem entgegenhalten?

Kreationismus ist Unsinn, und es wird versucht, etwas wiederzubeleben, das vor 150 Jahren widerlegt wurde. Bedeutende Wissenschaftler wie Cuvier oder Charles Lyell waren Kreationisten und waren überzeugt, dass Arten unveränderlich sind und stets neu geschaffen werden. Das Gedankengut ist also alt, wurde aber durch die Erklärungskraft der Darwin’schen Evolutionstheorie widerlegt. Es ist absurd, dass eine längst widerlegte wissenschaftliche Theorie wieder zum Leben erweckt werden soll. Niemand käme auf die Idee, wieder mit der Alchemie zu arbeiten. Heute würde man Chemie und Kernphysik nehmen. Wenn man den Leuten klarmacht, dass Kreationismus und ID etwas ist, was widerlegt ist, und man nicht den gleichen Fehler wiederholen sollte, wäre schon viel gewonnen. Man muss wachsam sein, dass diese Lehren nicht durch die Hintertüre in Schulzimmer gelangen. Und es braucht Politiker, die sich nicht scheuen, dagegen Stellung zu beziehen und klare Worte zu finden, wenn es nötig ist. Ansonsten kann man nur Schiller zitieren: „Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens “.

Wissen denn Lehrer und Politiker genug von Evolution, um kreationistische Tendenzen erkennen zu können?

Die Inhaber von entsprechenden Lehrstühlen wollen bald eine Webpage aktivieren und Informationen zur Evolution zur Verfügung zu stellen. Man will damit Lehrern und Politikern wissenschaftliche Informationen zur Verfügung stellen. Damit möchte man Transparenz schaffen und Öffentlichkeitsarbeit leisten. Zudem steht 2009 das Darwin-Jahr an. Das schafft eine Möglichkeit, der Bevölkerung die Evolutionstheorie näher zu bringen.

 
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