Veröffentlicht: 23.07.08
Mittwochskolumne

Wie ich seit einem halben Jahr ohne Handy überlebe

Dominic Dähler
Dominic Dähler, D-BIOL
Dominic Dähler, D-BIOL (Grossbild)

Ein Willensentscheid war‘s nicht, der mich in diese Misere hat schlittern lassen, vielmehr Schicksal. Fast ausnahmslos jeder, den ich kenne, ist heutzutage schon seit Jahren im Besitz eines dieser Dinger, ohne das sich die meisten Menschen ein Leben nicht mehr vorstellen können. Die Einzige, die es noch immer ohne schafft und mir spontan gerade so einfällt, ist meine Mutter. Man kann fast überall auf der Welt damit telefonieren, den Freunden, mit denen man sich zu einem Feierabend-Bier am See verabredet hat, noch kurzfristig mitteilen, dass man eine halbe Stunde später kommt. Von einer schönen Bike-Tour verschicke ich damit Bilder an Leute, die sie gar nicht sehen möchten und natürlich kann man damit auch noch Textmitteilungen versenden, etwa wenn man jemandem zum Geburtstag gratulieren sollte, aber keine Zeit oder Lust zum Reden hat. Eine ausgesprochen nützliche Sache also, dieses Gerätchen.

Das Schicksal schlug Anfang Jahr unerwartet und unerbittlich zu. Den Vertrag mit meinem Provider hatte ich schon länger gekündigt, weil ich zu einem anderen wechseln wollte. Ich war felsenfest überzeugt, dass der Termin für den Wechsel Anfang Februar sein würde. An jenem denkwürdigen 5. Januar, einem Samstag, hatte ich gerade meinen ersten Schultag im neuen Jahr und versuchte in der Pause, jemanden zu erreichen. Aber nichts mehr ging. „Kein Netz“ oder so ähnlich stand da. Nach ein paar erfolglosen Versuchen mit ein- und ausschalten kam mir plötzlich ein Verdacht: ist am Ende gar nicht das Handy futsch, sondern der Vertrag bereits abgelaufen? Der Gang in der Mittagspause ins nächstgelegene Handygeschäft bestätigte meine schreckliche Vorahnung: ich war bereits seit gestern ohne mobile Identität, hatte es bloss noch nicht bemerkt.

Meine Klassenkameraden schenkten mir ihr tiefstes Mitleid, als sie von diesem Schicksalsschlag erfuhren. Ich fühlte mich an jenem Nachmittag etwas besser umsorgt als sonst üblich, beinahe so, als ob mir etwas Schlimmes widerfahren wäre. Wie sollte man ohne Mobiltelefon bloss das kommende Wochenende überstehen können? Die Frage konnte vorderhand nicht beantwortet werden. Das Problem war aber nicht nur das bevorstehende Wochenende, sondern die Tatsache, dass ich ein iPhone wollte, und das sollte gerüchteweise erst ab Februar in der Schweiz erhältlich sein. Was das bedeutete, war schnell klar – ich musste ein paar Wochen ohne Handy auskommen.

Ich war niedergeschmettert, rappelte mich aber im Verlauf des Sonntags wieder auf. Ich steckte mitten in der PR-Ausbildung, Krisenkommunikation war Teil der Ausbildung, und ich wusste, mit kommunikativen Massnahmen lässt sich diese desolate Lage in den Griff kriegen. Situation analysieren, Fazit ziehen, Strategie ausarbeiten, Massnahmen festlegen und durchführen. Noch am Sonntagabend schickte ich in Panik vor dem Verlust von Freunden eine Kurzmitteilung vom SMS-Portal der ETH an alle Personen, deren Handynummer ich noch irgendwo hervorgrübeln konnte, um ihnen mitzuteilen, dass ich mobil nicht mehr erreichbar sei. Um auf Nummer sicher zu gehen, sandte ich noch eine E-Mail an alle meine Freunde und Bekannten hinterher. Doppelt genäht hält besser.

Nur schwer zu ertragen war in den ersten Tagen das Ausbleiben des SMS-Piepsens, dieses Gradmessers der sozialen Vernetzung, das einem täglich signalisiert, wie wichtig man für andere Menschen ist. Von einem Tag auf den anderen war dieses Geräusch einfach weg. Natürlich hatte ich meine Freunde immer noch, aber ich bekam einfach keinen Beleg mehr dafür.

Irgendwie kam ich die erste Woche über die Runden. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, aber als ich eine Woche später das Klassenzimmer betrat, schienen mir die Blicke meiner Kommilitonen von gespannt zu erleichtert zu wechseln, als sie sahen, dass ich immer noch am Leben war. Beni Turnheer, SF DRS-Altmeister in Sachen Sport- und Quizsendungen, hatte mal gesagt, er fühle sich nackt, wenn er ohne Handy aus dem Haus gehe. So weit würde ich nicht gehen, das Gefühl zu beschreiben, das mich in der ersten Woche jeweils beschlich, wenn ich morgens mit einem Gegenstand weniger als üblich das Haus verliess. Aus prophylaktischen Gründen zog ich aber sicherheitshalber doch eine Schicht mehr an als normal, man kann nie wissen, wie die Psyche unter solchen Ausnahmebedingungen reagiert. Ausserdem war es Mitte Januar und kalt draussen.

Eine erste grössere Herausforderung wartete am Samstagabend nach dieser ersten handyfreien Woche auf mich: ich hatte mich im Bahnhof Luzern verabredet, direkt unter der grossen Anzeigetafel. Bereits in Zürich beschlich mich beim Besteigen des Zugs ein mulmiges Gefühl. Wie sollte das bloss gut gehen? Eine Verabredung einzuhalten ohne die Möglichkeit zu haben, kurzfristig noch eine Planänderung durchzugeben? Und wenn der Zug Verspätung haben sollte? Oder eine Panne? Oder das Gleiche der Person passieren sollte, die ich treffen wollte? Nicht auszudenken. Ich sah mich schon langsam vereinsamen. Bei der heutigen Bedeutung des Handys für den Unterhalt des persönlichen, sozialen Netzwerks kein so abwegiger Gedanke.

Das mobilkommunikationslose Leben nahm weiter seinen Lauf. Und wie konnte es anders sein - das iPhone war natürlich auf den inoffiziell angekündigten Termin hin noch weit und breit nicht in Sicht. Ich beschloss, weiterhin zu warten. Und je länger ich wartete, desto selbstverständlicher wurde es, mobil nicht vernetzt zu sein. Keine einzige Verabredung hat nicht geklappt. Nach zwei Monaten verschwendete ich keinen Gedanken mehr daran, dass ich doch jetzt hierfür oder dafür unbedingt noch mein Mobiltelefon gebraucht hätte. In der Zwischenzeit ist ein halbes Jahr vergangen und ich schätze die neue, alte Lebensqualität „Unerreichbarkeit“. Kein „pieppiep“ unterbricht mehr am Morgen und Abend im Zug meine Zeitungslektüre. Ich muss meinem Gegenüber am anderen Ende der Leitung nicht mehr durch Wortkargheit zu verstehen geben, dass ich in der mucksmäuschenstillen S-Bahn sitze und das Gespräch gerne schnellstmöglich beenden möchte. In die Ferien muss ich nur noch drei statt vier Ladegeräte mitnehmen.

Und das Wichtigste - meine Freunde und Bekannten sind mir erhalten geblieben, die Familie sowieso. Mein Schwesterherz hat sich zwar anfänglich etwas schwer getan damit und stichelt auch heute noch immer mal wieder, man könne mich ja fast nicht mehr erreichen, seit ich mich in die kommunikative Steinzeit zurückbegeben hätte. Aber sie hat sich in der Zwischenzeit damit abgefunden und andere Kommunikationswege gefunden.

Am 11. Juli hätte das Warten endlich ein Ende haben können. Seit dann kann man’s in den Läden legal käuflich erwerben. Aber ich will es nicht mehr, inzwischen verabscheue ich diesen iPhone-Kult, hatte ihn eigentlich nie gemocht. Ich will jetzt ein Samsung, das alles kann, was das iPhone auch kann – und noch ein bisschen mehr. Aber das gibt es noch nicht. Im August soll es erhältlich sein, sagen die Gerüchte. Ich warte mal noch.

Zum Autor

Dominic Dähler studierte von 1993 bis 1998 an der ETH Zürich Biologie, Fachrichtung Systematik und Ökologie. Als Highlight seiner Studienzeit bezeichnet er seine vier Jahre dauernde Botanikassistenz bei Professor Matthias Baltisberger, die ihm profunde Kenntnisse der Pflanzenwelt eintrug. Nach dem Studium zog es ihn in die freie Wildbahn, sprich in die Wirtschaftswelt. So arbeitete er vier Jahre in der Finanzdienstleistungsindustrie bei „Swiss Re“. Dabei befasste er sich unter anderem mit der Rolle eines Rückversicherers im Handel mit CO2-Emissionszertifikaten. Im Frühjahr 2002 kehrte Dähler an die ETH zurück, wo er seither im Departement Biologie für die Doktorandenadministration und seit kurzem für die Public Relations des Departements zuständig ist. Momentan absolviert er eine Ausbildung zum PR-Fachmann. In seiner Freizeit rückt er mit Mountain Bike und per pedes den Schweizer Bergen zuleibe, und nebenbei entwirft und stellt er selbst Möbel her.