Veröffentlicht: 17.07.08
Quantenmechanik

Weder Licht noch Materie

Physiker am Quantum Device Lab konnten ein in der Theorie bekanntes quantenmechanisches Phänomen experimentell bestätigen: Die Verbindung von Lichtteilchen und Atomen zu einem Zustand zwischen Materie und Licht. Die Ergebnisse könnten in der Entwicklung eines Einzel-Photon-Transistors münden und damit ein weiterer Schritt zur Verwirklichung des Quantencomputers sein.

Samuel Schlaefli
Mikrochips mit Mikrowellen-Resonatoren werden zum Manipulieren von Photonen benutzt (blau). Das künstliche Atom in Form einer elektrischen Schaltung wird für den Versuch in den Resonator integriert (Zickzack, stark vergrössert). (Bild: A. Wallraff)
Mikrochips mit Mikrowellen-Resonatoren werden zum Manipulieren von Photonen benutzt (blau). Das künstliche Atom in Form einer elektrischen Schaltung wird für den Versuch in den Resonator integriert (Zickzack, stark vergrössert). (Bild: A. Wallraff) (Grossbild)

Forscher auf der ganzen Welt beschäftigen sich mit der Frage, wie der Mikrochip für den Computer der Zukunft, den so genannten Quantencomputer, ausschauen könnte. Quantenphysiker versuchen dazu anstelle der gängigen Bits Quantenbits (Qubits) zur noch effizienteren Informationsverarbeitung in Computern nutzbar zu machen. Qubits könnten neben den Positionen 0 und 1, wie bei den herkömmlichen Bits, durch quantenphysikalische Vorgänge auch eine Superposition, ein „sowohl als auch“, von beiden einnehmen. Damit erlangt ein Qubit zusätzliche Ressourcen, welche für komplexe, bisher undenkbare Berechnungen zur Verfügung stünden.

Lange Zeit beschäftigten sich in erster Linie Atomphysiker und Quantenoptiker mit den Qubits. Vor etwa 10 Jahren begann sich aber auch die Festkörperphysik für das Thema zu interessieren. Die Quantenphysik einzelner Qubits im Festkörper war bis dahin wenig erforscht worden. Solche Festkörper-basierten Qubits haben den Vorteil, dass sie mit Methoden hergestellt werden können, die aus der Halbleiterindustrie zur Mikrochip-Fabrikation bekannt sind. In den letzten 4 Jahren hat sich eine neue Technologie mit dem Namen Circuit Quantum Electrodynamics (Circuit QED; siehe Kasten) als wichtiger Hoffnungsträger für die Quanten-Informationsverarbeitung herausgestellt. Andreas Wallraff, Leiter des Quantum Device Lab am Laboratorium für Festkörperphysik der ETH Zürich, forscht seit 2002 im Bereich der Circuit QED. Er und sein Team haben sich dabei auf Versuchsanordnungen mit sogenannten künstlichen Atomen spezialisiert. Als künstliche Atome werden spezielle auf Mikrochips hergestellte, mikroskopisch kleine elektrische Schaltungen eingesetzt, welche quantenphysikalische Eigenschaften von einzelnen Atomen besitzen. Ähnlich wie in gewöhnlicher Elektronik, können diese mit elektromagnetischen Signalen kontrolliert und manipuliert werden.

Experimenteller Beweis für theoretische Annahme

In der aktuellen Ausgabe von „Nature“ präsentieren Andreas Wallraff und sein Team die ersten Ergebnisse einer Reihe von neuen Experimenten, die seit Dezember 2006 auf einer neu in Betrieb genommenen Circuit QED-Versuchsanlage stattfanden. Die Physiker legen darin den experimentellen Beweis für ein quantenphysikalisches Phänomen dar, das seit rund 45 Jahren theoretisch beschrieben ist: Unter bestimmten Umständen können Photonen (Lichtteilchen) sich mit Atomen (Materie) zu einem Zwitter zwischen Licht und Materie verbinden und dabei ihre ursprünglichen Eigenschaften ablegen. Sind dabei mehrere Photonen beteiligt, so können diese über das verbindende Atom untereinander in Wechselwirkung treten, obwohl Photonen unter Normalbedingungen nicht miteinander reagieren.

Beim Experiment am Quantum Device Lab wurde das künstliche Atom, ein 300 mal 30 Mikrometer grosser Schaltkreis, in einem Resonator mit einzelnen Photonen beschossen. All das findet auf einem einzigen Mikrochip statt. Die Photonen haben Frequenzen von einigen Gigahertz und sind daher im Bereich der Mikrowellen anzusiedeln. Damit das künstliche Atom bzw. Qubit in seinem quantenmechanischen Grundzustand vorliegt und nicht durch Wärmestrahlung gestört wird, musste der Versuch nahe am absoluten Nullpunkt (0 Kelvin / -273,15°C) stattfinden. Das in den Resonator eingeschossene Photon wird rund 300 Millionen Mal pro Sekunde vom künstlichen Atom absorbiert und wieder emittiert. Dabei tritt der Zwitterzustand zwischen Materie und Licht auf. Die Quantentheorie besagt, dass dieser Vorgang bei zwei Photonen im Resonator um die Wurzel aus zwei schneller ablaufen muss als bei einem einzelnen Photon. Diese nicht lineare Abhängigkeit zwischen der Energie der Quantenzustände gegenüber der Anzahl der Photonen konnten die Wissenschaftler um Wallraff nun durch Messung einzelner Photonen bei Leistungen im Bereich von 10-17 Watt experimentell eindeutig verifizieren. Ganz die ersten waren sie damit jedoch nicht: Ein ähnliches Experiment gelang vor wenigen Monaten bereits Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching mit einem anderen Versuchsaufbau, in dem natürliche Atome und Photonen bei optischen Frequenzen verwendet wurden. Die ETH-Ergebnisse seien jedoch klarer und überzeugender als diejenigen der deutschen Kollegen, meint Johannes Fink, Mitautor der aktuellen Publikation.

Photon-Atom-Systeme als Schnittstelle für Datentransport

Die Ergebnisse belegen auch, dass der quantenmechanische Zustand von zwei Photonen und einem Atom in Circuit QED-Systemen als Interface für den Informationstransfer genutzt werden könnte. Über diese Schnittstelle könnten einst Informationen in Form von Licht in Materie und von Materie zurück in Licht umgewandelt werden. Da Photonen unter Normalbedingungen nicht miteinander reagieren, eignen sie sich besonders für den Datentransfer, wobei sich die reaktiveren Elektronen in den künstlichen Atomen als eigentliche Qubits für die Rechenprozesse anbieten. Laut Johannes Fink könnten die Erkenntnisse daher einst in die Entwicklung eines Einzel-Photon-Transistors einfliessen. Ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg zum Quantencomputer ist damit getan. Wie lange es dauern wird, bis die Ergebnisse aus der Grundlageforschung in konkreten Rechensystemen Anwendung finden, ist heute jedoch noch nicht absehbar.

Circuit Quantum Electrodynamics (Circuit QED)

Quantenelektrodynamik (QED) beschreibt die Wechselwirkung geladener Teilchen, wie Elektronen oder Positronen, durch Austausch von Lichtteilchen (Photonen). Aufbauend auf den Entdeckungen Plancks und Einsteins um 1900, wurde die Quantenelektrodynamik in den Vierziger und Fünfziger Jahren von Feynman, Dyson, Tomonaga und Schwinger entwickelt. Sie zählt heute zu den präzisesten Theorien der Physik und hilft Quantenphänomene, wie die Struktur und Stabilität von Atomen und Molekülen, zu erklären. Der Begriff Circuit QED ist relativ neu und steht für Wechselwirkungen zwischen einzelnen Photonen und „künstlichen“ Atomen in elektrischen Schaltungen. Photonen in einer supraleitenden elektrischen Schaltung könnten in Zukunft als Informationsträger in Quantencomputern eingesetzt werden. Diese Computer könnten bestimmte Rechenoperationen in bisher nicht gekannter Effizienz ausführen.

Literaturhinweis: J.M. Fink, M. Göppl, M. Baur, R. Bianchetti, P.J. Leek, A. Blais & A. Wallraff: Climbing the Jaynes-Cummings ladder and observing its square root of n nonlinearity in a cavity QED system. Nature 2008; (07112). doi:10.1038/nature07112

 
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