Veröffentlicht: 14.07.08
Neue Pilzarten

"Helvetica ist ein Exportschlager"

In den Wäldern rund um Zürich entdeckten ETH-Forscher sechs neue Pilzarten, die eine erstaunlich grosse Verbreitung haben. Doch von blossem Auge sind sie nicht sichtbar, und erst molekulare Analysen enthüllen ihre wahre Identität.

Saskia Wegmann und Peter Rüegg
Christoph Grünig gräbt Feinwurzeln von Fichten aus, in denen die neu beschriebenen Pilze leben. (Bild: P. Rüegg)
Christoph Grünig gräbt Feinwurzeln von Fichten aus, in denen die neu beschriebenen Pilze leben. (Bild: P. Rüegg)

Unter den Schuhen knacken Zweige, Christoph Grünig vom Institut für integrative Biologie stapft oberhalb des Zürcher Zoos durch den Wald. Er sucht nach orangen Pflöcken, die er während seiner Doktorarbeit in den Boden gesteckt hatte, um seine Probefläche zu markieren. Die meisten sind wie vom Erdboden verschluckt, überwachsen, entfernt von Pfadfindern. Nach längerem Absuchen des Unterholzes stösst er schliesslich auf einen der Pflöcke. Aus dem Rucksack zieht er eine Karte der Probefläche, kontrolliert das Aluschild, das am Pflockt hängt. „149“, sagt er und tippt mit dem Finger auf den entsprechenden Kartenpunkt; schiebt Laub und Nadeln zur Seite bis der Erdboden zu sehen ist. Seine Finger greifen sich eine der zahlreichen Fichtenwurzeln, die das Erdreich durchziehen. „Dreiviertel aller Fichten in diesem Bestand hier sind von den dunklen septierten Wurzelpilzen besiedelt“, sagt der Waldökologe. Von Pilzen ist jedoch von blossem Auge nichts zu sehen.

Da verwundert es auch nicht, dass die Dunklen Septierten Endophyten (DSE) zu den am wenigsten bekannten und erforschten Pilzen gehören. Erst vor kurzem publizierten Grünig und weitere Forscher eine Arbeit, in der sie sechs neue Arten beschreiben, vier davon fand der Oberassistent während seiner Dissertation auf dieser Probefläche im Zürichberg. „Alle denken, dass man nur im tropischen Urwald neue Arten entdecken kann“, sagt er. Dabei sei dies auch noch vor der eigenen Haustüre möglich. „Man muss einfach nur genau hinsehen.“

Genanalysen enthüllen Identität

Bei den DSE reicht es jedoch nicht, auf einem Waldspaziergang genau hinzusehen. Sie leben im Innern von Wurzelzellen von Nadel-, seltener auch Laubbäumen und wurden auch in den Wurzeln von Heidelbeeren gefunden. Im Labor lassen sich die heimlichen Wurzelbewohner jedoch einfach züchten. Grünig sammelte für seine Dissertation hunderte von Wurzelstücken, entfernte die Wurzelpilze auf der Wurzeloberfläche mit Wasserstoffperoxid und legte das so gereinigte Stück auf ein Nährmedium. Nach rund zwei Wochen Inkubationszeit wird der heimliche Waldbewohner sichtbar – als schwärzliches filziges Pilzgeflecht. Aber auch so sind die verschiedenen Arten von Auge nicht zu unterscheiden. Insgesamt isolierte er 1500 Pilzstämme, aber erst mit molekularbiologischen Verfahren konnte Grünig schliesslich aus der einen bekannten Art, Phialocephala fortinii, sechs neue Arten „machen“ und beschreiben.

Heimlich weit verbreitet

Um die neuen Arten eindeutig zu benennen, musste sich Grünig erst versichern, dass diese noch nie beschrieben wurden. Das ist bei Pilzen kompliziert, nur schon, weil sie eine asexuelle und eine sexuelle Form bilden können, die verschiedenen aussehen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass diese Arten wirklich neu sind und noch nie beschrieben wurden, ging es an die Namensgebung. Diese folgt dem Internationalen Code der botanischen Nomenklatur (ICBN). Botanische Artnamen bestehen immer aus zwei Wörtern. Das erste bezeichnet die Gattung, das zweite die Art.

So kamen die neuen Wurzelpilzarten zu Namen, die auf ihren Fundort hinweisen. Phialocephala uotolensis heisst beispielsweise die Pilzart, die von der Probefläche auf dem Üetliberg stammt. Sie ist benannt nach der im Frühmittelalter gebauten Uotelenburg, welcher dem Berg seinen Namen gegeben hat. Auch die Stadt Zürich kommt so zu Ehren: Phialocephala turiciensis heisst eine weitere Art. Und eine Pilzart trägt gar den Namen Phialocephala helvetica, da die Forscher diese nur aus der Schweiz kannten. Ein Trugschluss. P. helvetica wurde nach der Erstbeschreibung durch den ETH-Ökologen auch an andern Stellen der Nordhemisphäre gefunden. „Helvetica ist der Schweizer Exportschlager“, sagt denn auch Grünig scherzhaft

Ökologie weitgehend unerforscht

Die Wurzelpilze sind zwar in der ganzen Nordhemisphäre weit verbreitet und sogar in Australien und Neuseeland ist ihr seltenes Vorkommen dokumentiert. Die Frage, wie sie sich verbreiten, ist allerdings noch nicht geklärt. Wahrscheinlich ist, dass die Wurzelpilze mittels Bäumchen aus Baumschulen im In- und Ausland verbreitet wurden, was ihr Vorkommen in vielen europäischen und nordamerikanischen Wäldern erklären würde.

Auch nicht geklärt ist, ob die Pilze mit ihren Wirten in Symbiose leben, ob sie ihnen schaden oder ob die Bäume einen Nutzen davon haben. Angesprochen auf die Rolle der DSE zuckt Grünig mit den Schultern: „Wir wissen das derzeit schlicht und einfach nicht.“ Und äussert ein paar Vermutungen. Die Bäume könnten sich mit den Wurzelpilzen gegen pathogene Pilze, von denen es im Boden wimmelt, oder Wurzel parasitierenden Insekten schützen.

Um diese offene Frage in naher Zukunft beantworten zu können, wandert jetzt ein Doktorand an Grünigs Stelle durch die Urwälder Europas, markiert Forschungsplätze mit orangen Pflöcken und erforscht, wie die verschiedenen Wurzelpilzarten nach Nordamerika, Frankreich, in die Schweiz und an den Baikalsee gelangten.

Literaturhinweis

Grünig C, Duo A, Sieber TN and Holdenrieder O. Assignment of species rank of six reproductively isolated cryptic species of the Phialocephala fortinii s.l.- Acephala applanata species complex. Mycologia 100 (1), 2008, 47-67. doi: 10.3852/mycologia.100.1.47

 
Leserkommentare: