Veröffentlicht: 09.07.08
Mittwochskolumne

Der Urlaubsflug - ein Dialog

Ulrich Weidmann
Ulrich Weidmann, Professor für Verkehrssysteme.
Ulrich Weidmann, Professor für Verkehrssysteme.

Ich: In wenigen Tagen beginnt der Urlaub! Südengland wartet auf uns – ein kurzer Flug, und schon sind wir dort.

Gewissen: Hallo! Erlaube mir, daß ich – Dein ökologisches Gewissen - mich melde. Habe ich richtig gehört: Ihr fliegt in den Urlaub?

Ich: Hallo Umweltgewissen, schön, von Dir zu hören! Kein Problem mit Deiner Frage – ich trete mit reiner Seele vor Dich. Die Antwort lautet: Ja.

Gewissen: Das gefällt mir nicht wirklich. Es ginge auch mit dem Zug – wenn es schon so weit sein muss.

Ich: Jetzt sei mal nicht so! Wir haben extra unsere Wohnung so gewählt, daß ich zu Fuss zur Arbeit gehen kann. Da wird ein kleiner Urlaubsflug ja wohl drinliegen.

Gewissen: Das glaubst nur Du! Ich orientiere mich prinzipiell an der Gesamtbilanz. Wenn ich Dich so durchs Leben begleite, stelle ich nämlich fest, daß Du stets unterwegs bist. Das macht es mir als Gewissen übrigens nicht einfach, Dich genügend engmaschig zu begleiten, aber das ist ein anderes Thema. Weisst Du eigentlich, wie viele Kilometer in einem Jahr bei Dir zusammenkommen!

Ich: In der Tat eine interessante Frage.

(wenig später)

Ich: Zuhanden Deiner Öko-Buchhalterei: In den letzten 12 Monaten waren es: 27'000 km Flugzeug, 17'000 km Bahn, 1000 km Auto. Macht total: 45'000 km oder mehr als ein Mal um die Welt! Wow!

Gewissen: Was ist mit dem Lift? Wir wollen doch beide, daß die Bilanz vollständig ist!

Ich: Damit kommen 5000 Höhenmeter hinzu. Höher als der Mont Blanc!

Gewissen: Du wirst verstehen, dass ich Deine Begeisterung nicht teile.

Ich: He, ich bin Verkehrsprofessor, da werde ich ja wohl unterwegs sein dürfen!

Gewissen: Grundlagenirrtum. Als Verkehrsprofessor solltest Du - im Gegenteil – ganz besonders für die externen Folgen Deines Tuns sensibilisiert sein und Dein erworbenes ökologisches Bewusstsein künftigen Generationen durch aktives Vorleben vermitteln!

Ich: Ich kenne übrigens Leute, die viel weiter fliegen als ich, zum Beispiel an Klimakonferenzen auf der anderen Seite der Welt!

Gewissen: War selber noch nie dort, aber wir wollen nicht abschweifen.

Ich: War ja klar. Was ein richtiges Gewissen sein will, hat weder an Essen noch Trinken noch am Reisen seine Freude. Fasten und stille Einkehr sind angesagt. Es gibt Kartausen mit freien Plätzen, fliessendem Wasser und einem biologischen Gemüsegarten. Ich werde mich um einen Platz bewerben.

Gewissen: Sei doch nicht gleich eingeschnappt.

Ich: Doch, und zwar zu Recht. Meine Vorfreude ist verdorben – war ja wohl Dein Ziel! OK: Zürich ist im Sommer besonders schön. OK: Wegfliegen ist Nonsens. OK: Wir bleiben hier. Irgendwie werde ich dies auch meiner Familie erklären.

Gewissen: Uiiii, das wollte ich nicht. Flieg doch ruhig! War ja nicht so gemeint! Es ging mir eher um die prinzipielle Ebene.

Ich: Soso. Mein ganzes Berufsleben habe ich für den öffentlichen Verkehr gearbeitet. Habe geholfen, diesen noch attraktiver zu machen, weil ich an seine ökologische Mission glaube. Habe mich nicht nur öffentlich zu ihm bekannt, sondern ihn sogar benützt – auch den 32er-Bus abends um zehn Uhr, wenn er stinkt wie eine Bierbrauerei. Hätte übrigens anderswo mehr verdienen können als bei der SBB, im Fall. In diesem Kontext erscheint mir Dein Theater als reichlich deplatziert.

Gewissen: Du hättest es wohl leichter, wenn es mich nicht gäbe?

Ich: Ein konstruktiver Lösungsansatz!

Gewissen: Sprechen wir Klartext: Soll ich meinen Dienst bei Dir quittieren? Mein Ethos besagt, daß ich Menschen nicht quälen, sondern unterstützen soll, in meinem Fall auf dem Gebiet der ökologische Fussabdrücke. Bei Dir gelingt mir dies offensichtlich nicht.

Ich: Gegenfrage: Was geschieht dann mit Dir?

Gewissen: Habe ich mir noch nicht überlegt, werde wohl einen Job suchen müssen, was schwierig wird. Gewissen sind kaum gefragt. Da muss man warten, bis eine Stelle frei wird. Die guten Engagements gehen ohnehin unter der Hand weg. Da heisst es, wieder ganz von vorne beginnen und verdammt hart schuften.

Ich: Was uns nicht umbringt, macht uns stark.

Gewissen: Hahaha – das war ein besonders feiner Zynismus.

Ich: Wie wärs mit einem Deal?

Gewissen: Immer, auch in der Ökologie haben sich bekanntlich die ökonomischen Instrumente etabliert - Berührungsängste sind mir fremd.

Ich: Ich behalte Dich weiterhin und werde mir in Zukunft mehr Mühe geben. Du hältst Dich dafür aus unseren Ferienplänen raus.

Gewissen: Muss darüber nachdenken, könnte aber ein pragmatischer Ansatz sein, der uns gemeinsam weiterbringt. (Leise zu sich selbst: So sagt man doch, wenn man sich nicht durchsetzen konnte).

Ich: Ich wußte doch, daß wir einen Weg finden, mit dem wir uns beide identifizieren können. (Leise zu mir selbst: Das hat zwar gewirkt, war aber nicht eben fair von mir...).

Zum Autor

Mit Ulrich Weidmann gehört ein Vertreter des Departements Bau, Umwelt und Geomatik (D-BAUG) zum Kolumnistenteam. Er ist seit 1. Juni 2004 ordentlicher Professor für Verkehrssysteme am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT). Weidmann wurde 1963 als Bürger von Einsiedeln geboren. Nach seinem Bauingenieur-Studium an der ETH Zürich war er ab 1988 Assistent am IVT und schrieb in dieser Zeit seine Dissertation. Anschliessend fand Ulrich Weidmann den Weg in die Praxis. Von 1994 bis 2004 arbeitete er für die SBB. Er war unter anderem massgeblich beteiligt an der Neuausrichtung des Regionalverkehrs auf die Liberalisierung sowie am netzweiten Ausbau der S-Bahnen in der Schweiz. 2001 bis 2004 führte er den Geschäftsbereich Engineering und war dabei für die gesamte Bahntechnik vom Gleisbau über die Umwelttechnik bis zur Zugsicherung verantwortlich. Zudem leitete er bauherrenseitig das Projekt Führerstandssignalisierung der Lötschberg-Basislinie. Mit viel Erfahrung im Gepäck kehrte er an das IVT der ETH zurück. Sein Lehrstuhl befasst sich in der Forschung mit der Verkehrserschliessung von Agglomerationen, dem Gütertransport im Rahmen der globalen Logistik, dem stabilen Betrieb hochbelasteter Netze des Bahn- und Stadtverkehrs sowie den Prozessen des Fussgängerverkehrs. Persönliche Schwerpunktthemen sind die Ordnungspolitik und Regulierung, Unternehmensstrategien und Innovationsmanagement.

 
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