Veröffentlicht: 27.06.08
Neuer Wirkstoff entdeckt

Warum Cannabis Entzündungen hemmt

Cannabis wird seit langem eine entzündungshemmende Wirkung zugeschrieben. ETH-Forscher haben nun entdeckt, dass dafür nicht nur die bekannten psychoaktiven Substanzen verantwortlich sind. Eine entscheidende Rolle spielt auch eine Verbindung, die wir täglich über die pflanzliche Nahrung einnehmen.

Felix Würsten
Cannabis ist schon seit langem als Heilpflanze bekannt. Forscher der ETH Zürich und der Universität Bonn haben jetzt eine entzündungshemmde Wirkung in Hanföl nachgewiesen. Bild: RoOobie/flickr
Cannabis ist schon seit langem als Heilpflanze bekannt. Forscher der ETH Zürich und der Universität Bonn haben jetzt eine entzündungshemmde Wirkung in Hanföl nachgewiesen. Bild: RoOobie/flickr (Grossbild)

Cannabis sativa L. wird von vielen nicht nur wegen seiner berauschenden Wirkung geschätzt, sondern seit langem auch als Medizinalpflanze genutzt. Obwohl man das Gewächs schon seit Jahren intensiv untersucht, findet man immer wieder neue überraschende Aspekte. So haben Forscher der ETH Zürich und der Universität Bonn eine bisher wenig beachtete Komponente im ätherischen Öl dieser Pflanze genauer untersucht und dabei bemerkenswerte pharmakologische Effekte festgestellt. Wie die Autoren der Studie in der jüngsten Ausgabe der renommierten Wissenschaftszeitschrift PNAS schreiben, eröffnen die Erkenntnisse insbesondere für die Prävention und Behandlung von Entzündungen interessante Perspektiven.

Völlig andere Molekülstruktur

In der Hanfpflanze finden sich über 450 verschiedene Substanzen. Nur drei von ihnen sind für die Rauschwirkung von Marihuana und Haschisch verantwortlich. Sie aktivieren im Körper die beiden Rezeptoren CB1 und CB2. Während der CB1-Rezeptor im Zentralnervensystem die Wahrnehmung beeinflusst, spielt der CB2-Rezeptor im Gewebe eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung von Entzündungen. Wird der Rezeptor aktiviert, schüttet die Zelle weniger entzündungsfördernde Signalstoffe, sogenannte Zytokine, aus.
Die Wissenschaftler entdeckten nun, dass die Substanz beta-Carophyllen, welche 12 bis 35 Prozent des ätherischen Öls der Cannabispflanze ausmacht, selektiv den CB2-Rezeptor aktiviert. Im Gegensatz zu den drei psychoaktiven Substanzen dockt beta-Carophyllen jedoch nicht an den CB1-Rezeptor an. Deshalb löst die Substanz auch keine Rauschwirkung aus. „Auf Grund der vielfältigen Wirkungen von Cannabis vermutete man schon seit längerem, dass neben den psychoaktiven Stoffen noch andere Substanzen eine Rolle spielen“, erklärt Jürg Gertsch vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich. „Doch bislang wusste man erstaunlicherweise nicht, um welche Substanz es sich genau handelt.“ Bemerkenswert findet Gertsch, dass beta-Carophyllen eine ganz andere Molekülstruktur besitzt als die klassischen Cannabinoide. „Vermutlich erkannte man aus diesem Grund bisher nicht, dass diese Substanz den CB2-Rezeptor ebenfalls aktivieren kann.“
Die Wissenschaftler konnten den Nachweis, dass beta-Carophyllen an den CB2-Rezeptor bindet, nicht nur in vitro erbringen, sondern auch im Tierversuch. Sie behandelten Mäuse, die unter einer entzündlichen Schwellung an den Pfoten litten, mit oral verabreichten Dosen der Substanz. Dabei zeigte sich, dass bei bis zu 70 Prozent der Tiere die Schwellung zurückging, selbst bei tiefen Dosen. Bei Mäusen, bei denen das Gen für den CB2-Rezeptor fehlte, zeigte die Substanz jedoch keine Wirkung.

Weit verbreitete Substanz

Die Resultate sind vielversprechend in Hinblick auf die Prävention oder Behandlung von Erkrankungen, in denen der CB2-Rezeptor eine positive Rolle spielt. Allerdings stehe man diesbezüglich erst am Anfang, erklärt Gertsch. „Wir wissen noch nicht, wie beta-Carophyllen vom menschlichen Körper genau aufgenommen wird und ob in Menschen therapeutische Blutspiegel erreicht werden.“ Trotzdem: Der Wissenschaftler könnte sich vorstellen, dass die Verbindung dereinst nicht nur helfen wird, gewisse Formen von Entzündungen zu heilen, sondern dass sie auch die Behandlung von chronischen Krankheiten wie Leberzirrhose, Morbus Crohn, Osteoarthritis und Arteriosklerose unterstützen könnte. Bei all diesen Krankheiten spielen der CB2-Rezeptor und das damit verbundene Endocannabinoid-System eine wichtige Funktion. Besonders attraktiv ist, dass beta-Carophyllen nicht nur in Cannabis, sondern allgemein in Pflanzen sehr häufig vorkommt und wir diese Substanz täglich über die Nahrung einnehmen. Die nicht-toxische Verbindung, die übrigens schon seit Jahren als Zusatz in Lebensmitteln und Kosmetikprodukten eingesetzt wird, findet man beispielsweise in Gewürzpflanzen wie Oregano, Basilikum, Zimt und schwarzem Pfeffer. „Ob wir mit unserer Studie einen neuen Link zwischen der pflanzlichen Ernährung und der Verhütung sogenannter Lifestyle-Erkrankungen gefunden haben, wird sich in künftigen Studien zeigen“, ergänzt Gertsch.

Literaturhinweis

Gertsch, J et al.: Beta-caryophyllene is a dietary cannabinoid. Published online on June 23, 2008, Proc. Natl. Acad. Sci. USA, doi: 10.1073/pnas.0803601105

 
Leserkommentare: