Veröffentlicht: 30.04.08
Molekulare Grundlagen emotionaler Traumata

Hartnäckige Erinnerungen

Emotionale Erinnerungen an traumatische Erlebnisse wie Unfälle, Kriegserlebnisse oder schwere Erkrankungen werden vom Gehirn besonders robust gespeichert. Dies erschwert eine effektive Behandlung. Forschern der ETH Zürich und der Universität Zürich ist es jetzt gelungen, den molekularen Grundlagen dieser starken und lange anhaltenden Erinnerungen auf die Spur zu kommen.

Nicole Kasielke
Die Mäuse verbinden Zuckerlösung mit Übelkeit und meiden sie deshalb während Monaten (Bild: ETH Zürich).
Die Mäuse verbinden Zuckerlösung mit Übelkeit und meiden sie deshalb während Monaten (Bild: ETH Zürich). (Grossbild)

Im Zusammenhang mit Kriegsheimkehrern aus dem Irak oder Überlebenden von Katastrophen wie dem Tsunami ist der Begriff der Posttraumatischen Belastungsstörung wieder verstärkt in aller Munde. Dies ist keine neue Entwicklung, sondern tritt immer dann auf, wenn Menschen extreme Situationen erleben. Es ist bekannt, dass emotionale Erinnerungen, sowohl positiver als auch negativer Art, von unserem Gehirn besonders robust gespeichert werden. Dadurch beeinflussen sie stark unser Verhalten und können unsere Lebensgewohnheiten im Fall negativer Erinnerungen erheblich einschränken. In der Folge meiden wir Orte, Gerüche oder Gegenstände, die an das traumatische Erlebnis erinnern, da diese starke Ängste auslösen können.

Isabelle Mansuy, Professorin für Zelluläre Neurobiologie an der ETH Zürich und für Molekulare und Kognitive Neurowissenschaften an der Universität Zürich, konnte mit ihrer Forschungsgruppe jetzt zeigen, dass das Enzym Calcineurin und der Genregulationsfaktor Zif268 die Stärke emotionaler Erinnerungen massgeblich bestimmen. Erstmals konnten so die für emotionale Erinnerungen wichtigen Regulationsprozesse an den Synapsen der Nervenzellen mit denjenigen im Zellkern in Verbindung gebracht werden.

Mäuse als ideales Modellsystem

Um in kürzester Zeit eine lang anhaltende Erinnerung zu generieren, benötigt es Moleküle im Gehirn, die nicht nur schnell aktiviert werden, sondern auch die Signalwege des Langzeitgedächtnisses effizient steuern. Ein viel versprechender Kandidat war für die Züricher Forscherinnen und Forscher daher das Protein Phosphatase Calcineurin, von dem bereits bekannt ist, dass es Lernen und Gedächtnis negativ regulieren kann. Als Modellsystem verwendeten die Forscher Mäuse, da von ihnen etablierte Verhaltenstests existieren und sie ähnlich wie der Mensch lernen. Für ihre Experimente konditionierten die Forscher die Mäuse darauf, eine Zuckerlösung mit Übelkeit zu assoziieren. Diese Assoziation hält viele Monate an. In dieser Zeit meiden die Mäuse die Zuckerlösung. Ihre Abneigung kann jedoch durch intensives Training langsam überwunden werden. „Emotionale Erinnerungen werden nicht einfach ausgelöscht. Belastende, negative Erinnerungen müssen aktiv durch positive Erinnerungen ersetzt werden“, erklärt Mansuy. Dabei sei wichtig zu verstehen, dass die negativen Erinnerungen nicht verschwinden, sie rutschen nur in einer Art Rangliste nach unten und werden durch die neu erlernten, positiven Erinnerungen dominiert. „Dieser Prozess ist nicht endgültig, die Rangliste kann sich auch wieder ändern“, sagt Mansuy. Karsten Baumgärtel, Postdoc in Mansuys Gruppe betont, dies sei ein grosser Unterschied zwischen emotionalen Erinnerungen und erlerntem Wissen. „Fakten können durchaus gänzlich aus dem Gedächtnis verschwinden, während emotionale Erinnerungen in extremen Fällen ein Leben lang gespeichert bleiben. Man muss aktiv eingreifen, um den Stellenwert negativer Erinnerungen zu reduzieren.“

Verringerte Aktivität von Calcineurin

Untersuchungen der Amygdala, dem Teil des Gehirns, der für die emotionale Wahrnehmung wichtig ist, zeigten für konditionierte Mäuse im Vergleich zu unbehandelten Mäusen, eine geringere Aktivität des Enzyms Calcineurin. Da Calcineurin Lernen und Gedächtnis negativ reguliert, muss dessen Aktivität verringert werden, um eine starke Erinnerung zu ermöglichen. Um die Rolle Calcineurins im Erinnerungsprozess weiter zu belegen, verwendeten die Forscher und Forscherinnen transgene Mäuse, in denen sie das Enzym in Nervenzellen des Gehirns selektiv aktivieren oder inaktivieren konnten. „Die selektive Aktivierung beziehungsweise Inaktivierung in Nervenzellen ist wichtig, da Calcineurin ein Enzym ist, das in vielen Zellen vorkommt. Es spielt zum Beispiel auch bei der Immunabwehr eine wichtige Rolle“, erklärt Mansuy. Wie von den Forschern erwartet, verstärkte die Inaktivierung von Calcineurin die Erinnerung an die Assoziation zwischen Zuckerlösung und Übelkeit, während diese durch erhöhte Aktivität von Calcineurin abgeschwächt wurde. Die Forscher konnten ebenfalls beweisen, dass mittels dieser Interventionen die Zeitdauer bis zur Verdrängung der negativen Erinnerung durch eine rein positive Erinnerung verlängert oder verkürzt werden konnte.

Regulationsprozesse in Synapse und Zellkern

Die Inaktivierung von Calcineurin führte auch zu einer gesteigerten Expression des Genregulationsfaktors Zif268 in der Amygdala. Zif268 ist für die Regulation verschiedenster wichtiger Gene zuständig, die in der Signalverarbeitung von Erinnerungen und Lernen eine Rolle spielen. Die Simulierung dieser gesteigerten Expression von Zif268 in transgenen Mäusen verstärkte die Erinnerung ähnlich wie die Inaktivierung von Calcineurin. Es ist das erste Mal, dass ein funktioneller Zusammenhang zwischen der Aktivität eines Enzyms in der Synapse und der eines Genregulationsfaktors im Zellkern in diesem Masse gezeigt werden konnte.

Mansuy und Baumgärtel betonen, dass ihre Forschung dem grundlegenden Verständnis der molekularen Zusammenhänge dient, eine direkte klinische Anwendung sei damit in naher Zukunft aber nicht verbunden. Mansuy erklärt jedoch: „Früher kannte man die Ursache für viele Krankheiten nicht, sie galten als Strafe Gottes und betroffene Menschen sind damals zum Priester gegangen. Heute kennen wir die Mechanismen, die dahinter stehen und können diese Krankheiten behandeln. Wir hoffen, mit unseren Forschungen einen kleinen Beitrag zu leisten, dass dies in der Zukunft auch für psychische Traumata oder Hirnerkrankungen mit Gedächtnisschwäche wie zum Beispiel Alzheimer, Parkinson und Schlaganfall möglich sein wird.“

Literaturhinweis:

Karsten Baumgärtel, David Genoux, Hans Welzl, Ry Y Tweedie-Cullen, Kyoko Koshibu, Magdalena Livingstone-Zatchej, Céline Mamie & Isabelle M Mansuy: Control of the establishment of aversive memory by calcineurin and Zif268. Nature Neuroscience 2008 May;11(5):572-8. Online publiziert am 20. April 2008.

 
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