Veröffentlicht: 22.02.08
Neuartige Verbundstoffe

Fast besser als Perlmutt

Materialforscher der ETH Zürich haben sich die Natur zum Vorbild genommen und ein Verbundmaterial geschaffen, das ähnliche Eigenschaften wie Perlmutt von Muscheln besitzt. Noch sind weitere Entwicklungsschritte nötig, um mit den Qualitäten des Naturprodukts gleichziehen zu können.

Peter Rüegg
Strukturen von Perlmutt (kleines Bild) und dem neuen Verbundstoff (grosses Bild: Prof. J. Woltersdorf & Dr. E. Pippel, kleines Bild: Wikipedia)
Strukturen von Perlmutt (kleines Bild) und dem neuen Verbundstoff (grosses Bild: Prof. J. Woltersdorf & Dr. E. Pippel, kleines Bild: Wikipedia) (Grossbild)

Die Innenseite von Muschelschalen ist mit einem ganz besonderen Material ausgestattet: mit Perlmutt. Dieses ist fest, steif, zäh, toleriert aber dennoch Oberflächenfehler wie etwa Kratzer oder Risse. Diese guten Eigenschaften verdankt das Material seinem besonderen Aufbau. Es setzt sich zusammen aus Schichten von festen, regelmässig angeordneten Plättchen aus anorganischem Material, die in einer weichen organischen Matrix eingebettet sind. Materialforscher der ETH um Ludwig Gauckler, Professor für Nichmetallische Werkstoffe, haben nun einen neuen Verbundstoff entwickelt, der dem natürlichen Perlmutt nachempfunden ist. Die Arbeit wurde soeben in „Science“ veröffentlicht.

Mikrobacksteine und Polymermörtel

Der Aufbau dieses künstlichen Hybrid-Materials ist mit einer Backsteinmauer vergleichbar. Winzige, harte Keramikplättchen dienen dabei als Backsteine, ein Polymer spielt die Rolle als Mörtel. Die Plättchen wurden regelmässig ohne sich zu überlappen auf dem Polymer angeordnet, und aus mehreren Polymer-Plättchen-Schichten stellten die Forscher einen dünnen Film her.

Das Prinzip, ein Polymer mit anorganischen Plättchen zu mischen, um daraus ein Hybridmaterial mit neuen mechanischen Eigenschaften zu erhalten, ist an sich nicht neu. Wichtig sei in diesem Fall jedoch gewesen, die Plättchen konsequent einzeln und klar voneinander getrennt auf das Polymer aufzubringen, betont Ludwig Gauckler. Dadurch wurden saubere Grenzflächen zwischen den beiden Materialien geschaffen.

Besser als Perlmutt?

Materialtests mit den dünnen Folien zeigten den Forschern, dass sich ein Teil der Eigenschaften des neuen Verbundwerkstoffs mit denen von Perlmutt vergleichen lässt und diese teilweise sogar übertreffen. Das Kunstprodukt lässt sich zum Beispiel um 25 Prozent deformieren, ehe es bricht. Perlmutt dagegen geht bei einer Deformation von zwei Prozent bereits in die Brüche. Zum Vergleich: Aluminium-Haushaltfolie „bricht“ ebenfalls bei einer zweiprozentigen Verformung. Den grössten Teil der überragenden Duktilität verdanken die neuen Verbundstoffe dem Polymerbett.

„Bei der Steifigkeit ist das Naturprodukt dem Kunstprodukt jedoch überlegen“, sagt Lorenz Bonderer, Doktorand an Gaucklers Labor, der den Grossteil der Forschung geleistet hat. Die Steifigkeit des neuen Verbundwerkstoffes ist bis zu sieben Mal tiefer als die von Perlmutt respektive der Alu-Folie.

Die Plättchen in Perlmutt bestehen zwar aus Aragonit und sind schwächer als Keramikplättchen. Die Natur kompensiert diese Schwäche jedoch mit einer komplexen Anordnung von einer grösseren Zahl von Plättchen. Defektfreie Strukturen mit ähnlich hohen Plättchengehalten wie bei Perlmutt künstlich herzustellen, war bisher nicht möglich.

Verbesserungen möglich

Die Forscher arbeiten nun weiter daran, die Eigenschaften des Kunstproduktes zu verbessern, indem sie beispielsweise andere Polymere oder Plättchen mit einer anderen Geometrie einsetzen. Weiteres Potenzial für Verbesserungen besteht in der optimalen Gestaltung der Grenzflächen zwischen Plättchen und Polymer, was zusammen mit einer Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle und den Polymergruppen der ETH Zürich erarbeitet wird.

Anwendungen stehen im Moment nicht im Vordergrund. Dazu sei es noch zu früh, sagt Gauckler. Ein solcher Verbundwerkstoff könnte aber zum Beispiel in flexiblen Bildschirmen eingesetzt werden, um ihnen eine gewisse Festigkeit zu geben. Verbundstoffe können auch in Beschichtungen, die zäh und flexibel sein müssen, zum Einsatz kommen.

Literaturhinweis:

Bonderer, Lorenz J., André R. Studart & Ludwig J. Gauckler (2008): Bio-inspired Design and Assembly of Platelet Reinforced Polymer Films, Science Vol. 319, 1069; DOI: 10.1126/science.1148726