Veröffentlicht: 26.07.07
Second Life

Das zweite Leben der ETH Zürich

Renata Cosby
Die Schweiz in Second Life.
Die Schweiz in Second Life. (Grossbild)

Second Life ist fit und lebendig an der ETH Zürich. Im Juni zeigte dies das Departement Architektur mit der Veranstaltung "Introduction to an Open Workspace". Es war das Resultat eines einsemestrigen Projekts von Architektur-studierenden. Ziel des Projekts war, eine Idee davon zu vermitteln, wie eine "Zweite ETH Zürich" aussehen könnte. Dieses Ziel wurde erreicht.

Das Projekt setzte ausserdem lebhafte Diskussionen über Second Life und die ETH Zürich in Gang. Die kommenden Monate werden zeigen, ob das Experiment fortgesetzt und ein offizieller Ableger der ETH Zürich in der virtuellen Welt von Second Life entstehen wird.

Je nach Einschätzung kann Second Life wirklich als eine Mikrowirtschaft* betrachtet werden: eine Plattform um Beziehungen, Kundenloyalität und Markenprozesse aufzubauen. Es ist ausserdem eine virtuelle Welt welche, wenn man dem Medienhype um geschätzte 40000** Mitspieler glauben kann, Freiheiten von den Zwängen des ersten Lebens, sprich von der Realität, bietet.

Im Wesentlichen entspringt also die Macht von Second Life der Imaginationskraft der Spieler. Genau deshalb fand Dr. Michele De Lorenzi von der Informations- und Kommunikationstechnologie-Kommission der ETH Zürich (ICT-Kommission) das ETH-Bild der Architekturstudierenden so besonders innovativ. Zumindest kontrastierte es deutlich mit den eher realistischen Gebäuden, die viele andere Universitäten benutzten, um sich in Second Life darzustellen.

De Lorenzi war Mitglied des Gastpanels zu dem auch Architekturprofessor und Stadtplaner Cees Christiaanse gehörte. Später beurteilte De Lorenzi das Projekt und die Zukunft von Second Life.

Vor drei Jahren haben Sie Second Life analysiert um herauszufinden, ob es für die ETH Zürich geeignet sei. Was sind ihre Resultate?

Ich analysierte Second Life im Rahmen des Explorationsprozesses von ETH World und war erstaunt von den Möglichkeiten, die es technologisch bot: drei Dimensionen und die Möglichkeit für verschiedene User sich zu treffen und im gleichen Raum zu interagieren. Second Life bietet endlose Möglichkeiten, etwas Neues zu gestalten. Die Schwierigkeit liegt darin, Themen zu finden, auf die der Focus gelegt werden soll. Das war auch für die Architekturstudierenden die grösste Herausforderung.

Professor Christaanse dagegen war der Ansicht, dass Second Life "kompletter Unsinn" sei, der nichts mit Raum oder Realität zu tun habe. Was denken Sie?

Die Antwort darauf hängt von der persönlichen Meinung ab. Viele Diskussionen um Second Life entzünden sich am Namen selbst: ist es wirklich ein zweites Leben oder nur eine schlechte Kopie des Lebens, das wir kennen? Und gibt es eine Grenze zwischen diesem und dem virtuellen Leben? Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie sich Realität konstituiert. Mit anderen Menschen in einer dreidimensionalen Welt auf einem Computerbildschirm zu interagieren, kann sehr real sein.

Was kann Second Life der ETH Zürich ausser Spass und einer Bereicherung des Soziallebens bieten?

Ich bin kein sehr häufiger User von Second Life. Dennoch sind meine sozialen Kontakte durch diese Technologie gewachsen. Menschen, die in diesen virtuellen Welten verkehren sind sehr positiv und offen für Kommunikation. 43% der User von Second Life sind Frauen – ein starkes Indiz für den sozialen Aspekt des Mediums. Das Durchschnittasalter der User von Second Life liegt bei 33; es ist also nicht einfach ein Kinderspielzeug.

Abgesehen davon aber gibt es viele denkbare Anwendungen für eine Technologie wie Second Life an der ETH Zürich. Verzweigte Forschungsgruppen, die sich nicht räumlich treffen können, können sich in Second Life treffen, um ein Projekt zu diskutieren. Seit diesem Sommer wird Second Life auch Stimmen unterstützen, was Gruppendiskussionen einfacher macht, ebenso wie es Audio- und Videokonferenzen vereinfachen wird.

Kürzlich hielt ich eine Präsentation gleichzeitig in Thun vor 100 Leuten und in Second Life vor 15. Ein Video meiner Rede wurde in Second Life als Live Streaming übertragen, während gleichzeitig ein Video der Teilnehmer in Second Life in Thun projiziert wurde. Ein Teil der Präsentation wurde von jemandem gehalten, der physisch an der ETH Zürich war aber von seinem virtuellen Abbild repräsentiert wurde. Das hört sich sehr kompliziert an, aber wenn man an so einer Konferenz teilnimmt sieht es alles ganz natürlich aus.

Das Lehr-Zentrum identifizierte noch eine weitere Anwendungsmöglichkeit für Second Life: Letztes Jahr gingen wir mit einem Lastwagen auf Tour zu Schweizer Mittelschulen, mit einer ausstellung über die ETH Zürich. Nun könnten wir diese Ausstellung in Second Life nachbilden. Dann könnten interessierte Mittelschüler diese virtuelle Ausstellung besuchen.

Wie könnte Second Life für Chemie, Physik oder Mathematik genutzt werden?

Alle diese Disziplinen haben dreidimensionale Komponenten. Ich könnte mir vorstellen, dass man verschiedene 3-D-Objekte in der virtuellen ETH nachbildet. Studierende könnten diese Objekte dann erforschen und mit ihnen arbeiten.

Enthusiasten sind überzeugt, dass Second Life zu Beginn eines enormen Booms steht, ähnlich wie das Internet vor 10 oder 12 Jahren. Was meinen Sie?

Bei diesem Trend geht es nicht um Second Life, wohl aber um ein dreidimensionales Internet (3Di). Deshalb, es ist 3Di und nicht Second Life, das das Wachstum des Internet spiegelt.

Betrachten Sie die technologischen Innovationen des Internet. Zunächst ging es nur um publizieren, zugänglich machen und finden von Informationen. Web 2.0 hat alle Internetuser befähigt, Informationen zu publizieren und zusammenzuarbeiten, um etwas Neues zu kreieren. Blogs und Wikis sind Beispiele dieser Technologien, die schliesslich zu Wikipedia und YouTube geführt haben.

Der nächste Schritt wird das 3Di sein, das es Usern möglich machen wird, sich online zu sehen. Stellen Sie sich Google Earth vor mit der Möglichkeit, in ein Gebäude hineinzuzoomen und mit einem Avatar das Gebäude zu betreten und mit den Leuten dort zu interagieren. In diesem Kontext ist Second Life nur ein mögliches (sehr erfolgreiches) Produkt einer amerikanischen Firma.

In den frühen Tagen des Internets gab es ein oder zwei dominierende Browser. Heute gibt es viele. Wird es auch konkurrierende virtuelle Welten geben?

Die gibt es bereits. Und es wird mehr und mehr konkurrierende virtuelle Welten geben, weil jede Person nach etwas anderem sucht und diese Suche ist abhängig vom Alter und den aktuellen Interessen der Person. Die Herausforderung der nächsten Jahre wird darin liegen, eine gewisse Standardisierung zwischen diesen Welten einzuführen. Es wäre grossartig, wenn ich mit meinem Avatar, Neptun Everett, verschiedene Welten besuchen könnte.

*Newsweek berichtet, dass in der boomenden Wirtschaft von Second Life 2,6 Milliarden Dollar in Umlauf sind – das Äquivalent von 9,8 Millionen US-Dollar. Quelle: Second Life’s Funny Money (Newsweek 2July 2007/9 July 2007).

**Zwischen 20000 und 40000 User sind gleichzeitig online. Man schätzt, dass es insgesamt etwa eine Million User von Second Life gibt.

 
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